Warum gibt jemand fälschlicherweise ein Verbrechen zu, das er nicht begangen hat? Es scheint unlogisch zu sein, doch dem „Innocence Project“ zufolge gab es seit 1989 bei den erfassten Verurteilungen 266 nachträgliche Entlastungen durch DNA-Beweise – was in 25 Prozent der Fälle ein falsches Geständnis bedeutet.
Eine neue Untersuchung der Iowa State University könnte zumindest auf einen der Gründe für diese falschen Geständnisse etwas Licht werfen. In zwei Experimenten, in denen Situationen simuliert wurden, wie sie Verdächtige bei Polizeiverhören entgegensehen müssen, änderten die Probanden, bestehend aus Studenten, ihr Verhalten dahingehend, dass sie illegale Dinge gestanden, um den Kurzzeitstress zu mindern (proximale Konsequenz), während sie mögliche Langzeitkonsequenzen (distale Konsequenz) außer Acht ließen.
„Die Gemeinsamkeit bei diesen Entlastungsfällen ist, dass sie allesamt Schwerverbrechen betreffen, weswegen auch DNA-Beweise zur Verfügung standen. Und deswegen wollten wir herausfinden, warum jemand ausgerechnet ein solches Verbrechen fälschlicherweise zugibt.“ So Stephanie Madon, außerordentliche Professorin für Psychologie an der ISU und Hauptautorin der Studie. „Wir dachten zunächst, dass dies mit den Methoden bei Polizeiverhören zu tun haben könnte. Einige Befragungsmethoden – wie physische Isolation und das Vorlegen falscher Beweise – haben sofortige Auswirkung auf Verdächtige und bringt sie zu einem Geständnis. Obwohl ihnen auch Konsequenzen drohen, die sie zum Leugnen der Schuld bestärken müssten – wie die Möglichkeit einer Verurteilung und einer Gefängnisstrafe – liegen diese Konsequenzen in weiter Ferne.“
„Die Verdächtigen wägen diese beiden Konsequenzen gegeneinander ab und das bestimmt ihr Verhalten,“ führte sie fort. „Deshalb wollten wir herausfinden, welche dieser Konsequenzen die Entscheidung zum Geständnis beeinflusst: Die, die in der Gegenwart Folgen haben oder die, die erst in der Zukunft eintreten.“
Die Wissenschaftler Max Guyll, Hochschulassistent für Psychologie, Kyle Scherr, Doktorand für Psychologie, Sarah Greathouse, ehemalige Hochschulassistentin für Psychologie und Gary Wells, Professor für Psychologie, alle an der Iowa State Universitiy beschäftigt, arbeiteten zusammen mit Madon an dieser Studie. Diese wird noch diese Woche im Online-Magazin Law and Human Behavior veröffentlicht.
Im ersten Experiment wurden 81 Psychologiestudenten der ISU (38 Frauen, 43 Männer) zu früheren kriminellen und unmoralischen Handlungen befragt und ein jeweiliges Zugeständnis oder Leugnen der Tat proximalen oder distalen Konsequenzen zugeordnet. Die proximale Konsequenz war, dass sie eine lange Liste sich wiederholender Fragen beantworten mussten. Als distale Konsequenz mussten sie sich einige Wochen später mit einem Polizisten treffen und ihre Antworten detailliert mit diesem erörtern.
Die Wissenschaftler fanden heraus, dass die Probanden sich zu einem Geständnis entschlossen, um der naheliegenden Folge der sich wiederholenden Fragenliste zu entgehen.
„Was wir fanden, war, dass unsere Teilnehmer aufgrund der Entscheidung auf Basis der proximalen Konsequenz ganz klar für ein Geständnis entschieden“, so Madon. „Sie würden sogar dann ein kriminelles oder unmoralisches Vergehen zugeben, um den Wiederholungsfragen zu entgehen, wenn das die Wahrscheinlichkeit stark erhöht, dass sich sich einige Wochen später mit einem Polizisten treffen müssen, um die Antworten in jeder Einzelheit mit diesem zu besprechen.“
Im zweiten Experiment wurden 143 Psychologiestudenten der ISU (93 Frauen und 50 Männer) wiederum nach ihren früheren kriminellen und unmoralischen Handlungen befragt. Dieses Mal wurden jedoch die proximalen und distalen Konsequenzen entgegengesetzt zum ersten Experiment gewählt. Also war die proximale Konsequenz das Treffen mit dem Polizisten direkt nach der Befragung, während die distale Konsequenz bedeutete, dass sie einige Wochen später ins Labor zurückkehren und die Wiederholungsfragen beantworten mussten.
„Wieder wurde die Entscheidung der Teilnehmer von der proximalen Konsequenz geformt. Sie wollten sich nicht mit dem Polizisten treffen“, so Madon. „Und deswegen antworteten sie auf eine Weise, die das verhinderte, selbst wenn sich damit die Wahrscheinlichkeit erhöhte, dass sie einige Wochen später zurückkehren und die Fragen beantworten müssen.“
Verdächtige gestehen, um Polizeiverhören zu entgehen
Die Wissenschaftler sind der Meinung, dass diese Ergebnisse bei der Erklärung dafür helfen können, warum manche Verdächtigen Verbrechen gestehen, um einem Verhör zu entgehen, selbst wenn sich dadurch das Risiko erhöht, deswegen verurteilt zu werden und schwere Strafen zu bekommen. Die Autoren der Studie theoretisieren, dass unschuldige Verdächtige so stark daran glauben, dass die Wahrheit letztendlich doch ans Licht kommt, dass sie die distalen Konsequenzen – wie Verurteilung, Gefängnis oder gar die Todesstrafe – als weit entfernt und unwahrscheinlich einschätzen.
„Eines der Dinge, die wir in dieser Forschungsarbeit herausfinden wollten, war, einen grundlegenden Vorgang zu finden, der bei Befragungen eine Rolle spielt, so dass man ihn auf eine Vielzahl polizeilicher Verhörmethoden übertragen kann“, sagte Madon. „Unsere Ergebnisse haben Auswirkungen auf jede [polizeiliche Verhör-] Methode, die Verdächtige dazu bringt, sich lieber auf sofortige als zukünftige Konsequenzen zu konzentrieren.“
Madon ist der Meinung, dass die Ergebnisse die Notwendigkeit unterstreichen, den Einsatz polizeilicher Verhörmethoden zu beschränken, welche die Verwundbarkeit der Verdächtigen ausnützen und sie auf Basis kurzfristiger Vorteile dazu bringen, sich zu einem Geständnis zu entschließen.
Quelle: http://www.news.iastate.edu/news/2011/feb/confessions
(SOM)
Antworten