Das von der NASA betriebene Röntgenobservatorium Chandra hat den ersten Beweis für ein Suprafluid – ein bizarrer, reibungsfreier Materiezustand – im Kern eines Neutronensterns entdeckt. Suprafluide, die in Laboratorien auf der Erde erzeugt wurden, offenbaren bemerkenswerte Eigenschaften, etwa die Fähigkeit hochzusteigen und aus luftdichten Containern zu entkommen. Der Fund hat wichtige Auswirkungen auf das Verständnis nuklearer Wechselwirkungen in Materie bei den höchsten bekannten Dichten.
Neutronensterne enthalten die dichteste bekannte Materie, die direkt beobachtbar ist. Ein Teelöffel Materie eines Neutronensterns wiegt sechs Milliarden Tonnen. Der Druck im Kern des Neutronensterns ist so hoch, dass die meisten geladenen Teilchen, Elektronen und Protonen, zusammengepresst werden und so ein Stern entsteht, der sich hauptsächlich aus ungeladenen Teilchen, den Neutronen, aufbaut.
Zwei unabhängige Forschungsteams untersuchten den Supernova-Überrest Cassiopeia A (oder kurz Cas A) im gleichnamigen Sternbild, das Relikt eines massereichen Sterns in 11.000 Lichtjahren Entfernung, der von der Erde aus betrachtet vor 330 Jahren explodierte. In den Daten von Chandra fand sich ein rapider Temperaturrückgang des ultradichten Neutronensterns, welcher nach der Supernova übrig blieb und sie zeigten, dass er sich in zehn Jahren um circa vier Prozent abgekühlt hatte.
„Dieser Temperaturabfall war sehr dramatisch und überraschend anzusehen, obwohl er sich klein anhört“, sagte Dany Page von der Nation Autonomous University in Mexiko, Leiter eines Teams, das eine Studie in der Ausgabe von 25. Februar 2011 der Physical Review Letters veröffentlichte. „Das bedeutet, dass etwas ungewöhnliches in diesem Neutronenstern passiert.“
Suprafluide, die geladene Teilchen enthalten, sind auch Supraleiter, was bedeutet, dass sie als perfekte elektrische Leiter agieren und niemals Energie verlieren. Die neuen Ergebnisse deuten stark darauf hin, dass die verbleibenden Protonen im Kern des Neutronensterns sich in einem supraflüssigen (suprafluiden) Zustand befinden, weil sie eine Ladung tragen und einen Supraleiter bilden.
„Die von Chandra beobachtete rasche Abkühlung im Neutronenstern von Cas A ist der erste direkte Beweis dafür, dass die Kerne solcher Neutronensterne tatsächlich aus supraflüssiger und supraleitfähiger Materie bestehen“, sagte Peter Shternin vom Ioffe Institute in St. Petersburg (Russland) und Leiter eines Teams, dessen Studie von der Fachzeitschrift Monthly Notices of the Royal Astronomical Society akzeptiert wurde.
Beide Teams zeigen, dass diese schnelle Abkühlung durch die Bildung eines Neutronen-Suprafluids im Kern des Neutronensterns innerhalb der letzten 100 Jahre (von der Erde aus gesehen) erklärt wird. Die schnelle Abkühlung wird erwartungsgemäß noch wenige Dekaden andauern, dann sollte sie sich verlangsamen.
„Es zeigt sich, dass Cas A vielleicht ein Geschenk des Universums ist, weil wir einen sehr jungen Neutronenstern zum exakt richtigen Zeitpunkt fangen mussten“, sagte Pages Co Autor Madappa Prakash von der Ohio University. „Manchmal kann ein bisschen Glück lange Wege in der Wissenschaft zurücklegen.“
Der Beginn der Suprafluidität tritt in Materialien auf der Erde bei extrem geringen Temperaturen nahe dem absoluten Nullpunkt ein, aber in Neutronensternen kann sie bei Temperaturen von fast einer Milliarde Grad Celsius einsetzen. Bis jetzt gab es eine sehr große Unsicherheit bei den Abschätzungen dieser kritischen Temperatur. Die neue Studie engt die kritische Temperatur auf einen Wert zwischen einer halben Milliarde und knapp einer Milliarde Grad ein.
Cas A wird den Forschern erlauben, Modelle zu testen, wie die starke Kernkraft (auch: starke Wechselwirkung), welche die subatomaren Teilchen zusammenhält, sich in ultradichter Materie verhält. Die Ergebnisse sich auch wichtig, um einige Verhaltensweisen von Neutronensternen zu verstehen, beispielsweise „Glitches“, die Pulsationen und die Präzession der Neutronensterne, Ausbrüche von Magnetaren und die Entwicklung von Magnetfeldern.
Kleine plötzliche Veränderungen in der Drehzahl rotierender Neutronensterne – „Glitches“ genannt – haben zuvor schon Beweise für supraflüssige Neutronen in der Kruste eines Neutronensterns geliefert, in der die Dichten wesentlich kleiner sind als im Kern. Die neusten Nachrichten von Cas A enthüllen neue Informationen über die ultradichte innere Region des Neutronensterns.
„Vorher hatten wir keine Ahnung, wie umfangreich die Supraleitfähigkeit von Protonen in Neutronensternen war“, sagte Shternins Co Autor Dmitry Yakovlev, ebenfalls vom Ioffe Institute.
Die Abkühlung des Cas-A-Neutronensterns wurde erstmals 2010 von den Co-Autoren Craig Henke (University of Alberta, Kanada) und Wynn Ho (University of Southampton, Großbritannien) entdeckt. Es war das erste Mal, dass Astronomen die Abkühlungsrate eines jungen Neutronensterns gemessen haben.
Pages Co-Autoren waren Prakash, Lames Lattimer (State University of New York in Stony Brook) und Andrew Steiner (Michigan State University). Shrernin’s Co-Autoren waren Yakovlev, Heinke, Ho und Daniel Patnaude (Harvard-Smithsonian Center for Astrophysics).
Zum beigefügten Bild:
Das Komposit zeigt eine schöne Röntgen- und optische Ansicht von Cassiopeia A. Röntgendaten von Chandra sind in rot, grün und blau dargestellt, gemeinsam mit optischen Daten des Hubble-Teleskops in gold.
Im Zentrum der Aufnahme befindet sich der ultradichte Neutronenstern, der durch die Supernova-Explosion entstand. Das kleine Bild ist eine künstlerische Darstellung des Neutronensterns im Zentrum von Cas A. Die unterschiedlich gefärbten Schichten in der ausgeschnittenen Region zeigen die Kruste (orange), den Kern (rot), wo die Dichte viel höher ist, und den Teil des Kerns, in dem sich die Neutronen nach Ansicht der Astronomen in einem supraflüssigem Zustand befinden (der innere rote Ball). Die blauen Strahlen, die vom Zentrum des Sterns ausgehen, repräsentieren die gewaltigen Mengen von Neutrinos – fast masselose, schwach wechselwirkende Teilchen – die erzeugt werden, wenn die Kerntemperatur unter einen bestimmten kritischen Wert fällt und ein Neutronen-Suprafluid entsteht. Die Neutrinos verlassen den Stern, nehmen Energie mit und lassen den Stern dadurch viel rascher abkühlen. Den neuen Beobachtungen zufolge besteht ein großer Teil des Neutronensterns aus supraflüssigen Neutronen und um die schnelle Abkühlung vollständig zu erklären, müssen die Protonen in dem Stern noch viel früher nach der Supernova ein Suprafluid gebildet haben.
Quelle: http://chandra.harvard.edu/press/11_releases/press_022311.html
(THK)
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