Indem sie die Expansionsrate des Universums mit bisher unerreichter Genauigkeit messen konnten, haben Astronomen mit Hilfe des Hubble-Weltraumteleskops der NASA auch eine Alternative zu der mysteriösen, unsichtbaren Quelle einer abstoßenden Gravitation ausgeschlossen, welche das Universum schneller expandieren erscheinen lässt – die Dunkle Energie.
Wenn das Konzept der Dunklen Energie schon den Verstand strapaziert, dann ist das konkurrierende und von den Astronomen ausgeschlossene Modell mindestens ebenso fantastisch. In der alternativen Hypothese wird eine gigantische, relativ leere Blase von acht Milliarden Lichtjahren Durchmesser vermutet, die unsere galaktische Nachbarschaft umgibt. Wenn wir im Zentrum dieser Blase sind, würden Beobachtungen von Galaxien, die mit immer größeren Geschwindigkeiten auseinander driften, nur eine bloße Illusion sein.
Die einfachste Form dieser Hypothese wurde nun ausgeschlossen, weil Astronomen genauere Grenzen für die Expansionsrate des Universums gefunden haben. Die Beobachtungen des SHOE (Supernova H0 for the Equation of State) Teams unter der Leitung von Adam Riess vom Space Telescope Science Institute und der John Hopkins University in Baltimore (Maryland) halfen dabei, die aktuelle Expansionsrate des Universums mit einer Unsicherheit von nur 3,3 Prozent zu verfeinern. Die neuen Messungen reduzieren die Fehlergrenze um 30 Prozent gegenüber den besten Hubble-Messungen aus dem Jahre 2009.
Der Wert für die Expansionsrate beträgt 73,8 Kilometer pro Sekunde pro Megaparsec. Das bedeutet, dass jede zusätzliche Million Parsecs (ein Parsec entspricht 3,26 Millionen Lichtjahren) Entfernung von der Erde die Galaxien 73,8 Kilometer pro Sekunde schneller von uns wegdriften erscheinen lässt.
Jede Herabsetzung der Unsicherheit in der Expansionsrate des Universums hilft uns dabei, unser Verständnis der kosmischen Bestandteile zu verbessern. Den exakten Wert der Expansionsrate des Universums zu kennen schränkt außerdem die Bereichsgröße der Dunklen Energie ein und hilft Astronomen, eine Reihe von anderen kosmischen Eigenschaften einzugrenzen, inklusive der Form des Universums und die Liste der Neutrinos – geisterhafte Teilchen, die das frühe Universum ausfüllten.
„Wir benutzen die neue Kamera von Hubble wie ein Polizist seine Radarpistole, um die Geschwindigkeit des Universums zu messen“, sagte Riess. „Es sieht so aus, als würde die Dunkle Energie auf das Gaspedal treten.“ Die Ergebnisse von Riess erscheinen in der Ausgabe vom 1. April des The Astrophysical Journal.
Die Blase zum Platzen bringen
Die Dunkle Energie ist eines der größten kosmologischen Rätsel in der modernen Physik. Sogar Albert Einstein erdachte sich eine abstoßende Kraft – kosmologische Konstante genannt – die der Gravitation entgegenwirken und das Universum stabil halten sollte. Er verwarf die Idee wieder, als der Astronom Edwin Hubble im Jahr 1929 entdeckte, dass das Universum expandiert. Es gab keine Beweise für Dunkle Energie auf Basis von Beobachtungen, bis zwei Forschungsteams (eins unter der Leitung von Riess) sie 1998 entdeckten.
Die Idee der Dunklen Energie war so weit hergeholt, dass viele Wissenschaftler damit begannen, über andere seltsame Interpretationen zu grübeln, die Theorie der kosmischen Blase eingeschlossen. In dieser Theorie würde die weniger dichte Blase schneller expandieren als das dichtere Universum um sie herum. Für einen Beobachter innerhalb der Blase sähe es so aus, als ob eine Kraft ähnlich der Dunklen Energie das gesamte Universum auseinander drücken würde. Die Blasen-Hypothese fordert, dass die Expansionsrate des Universums viel langsamer sein muss, als die Astronomen berechnet haben, zwischen 60 und 65 Kilometer pro Sekunde pro Megaparsec. Durch die Herabsetzung der Fehlertoleranz für die Hubble-Konstante auf 3,3 Prozent konnte sein Team die Möglichkeit für einen so geringen Wert zweifellos eliminieren, berichtet Riess.
„Der am schwierigsten zu akzeptierende Teil der Blasen-Theorie ist die Notwendigkeit, dass wir sehr nah am Zentrum solch einer leeren Region im Universum leben“, erklärte Lucas Macri von der Texas A&M University in College Station, ein Mitarbeiter von Riess. „Das passiert mit einer Wahrscheinlichkeit von eins zu einer Million. Aber seit wir wissen, dass etwas Seltsames eine Beschleunigung des Universums verursacht, ist es besser, uns von den Daten führen zu lassen.“
Sterne als „kosmische Maßstäbe“ benutzen
Die Messung der Expansionsrate des Universums ist sehr schwierig. Riess und sein Team mussten erst die genauen Entfernungen zu entfernten und nahen Galaxien bestimmen. Das Team verglich diese Distanzen mit der Rate ihrer scheinbaren Geschwindigkeit, mit der sie sich von der Erde entfernen, ausgelöst durch die Expansion des Universums. Dann benutzten sie diese zwei Werte, um die Hubble-Konstante zu berechnen. Weil Astronomen die Entfernung zu Galaxien nicht physikalisch messen können, mussten die Forscher Sterne oder andere Objekte finden, die als verlässliche kosmische Entfernungsmesser für Galaxien agieren. Dies sind Objekte, deren absolute Helligkeit bekannt ist. Ihre Entfernung kann daraus abgeleitet werden, indem man die absolute Helligkeit mit ihrer scheinbaren Helligkeit vergleicht, so wie sie von der Erde aus beobachtet wird.
Zu den zuverlässigsten dieser kosmischen Entfernungsmesser für verhältnismäßig kurze Distanzen gehören Cepheiden-Veränderliche – pulsierende Sterne, deren Helligkeit sich verändert und mit ihrer absoluten Helligkeit zusammenhängt. Aber Cepheiden sind zu schwach, um in weit entfernten Galaxien gefunden zu werden. Für größere Distanzen benutzte das Team von Riess eine spezielle Klasse von explodierten Stenen, Typ-Ia-Supernovae genannt. Diese Sternexplosionen leuchten mit ähnlicher Helligkeit und leuchten zudem auch hell genug, um weit entfernt im Universum gesehen werden zu können.
Riess engte die Fehlergrenze der Hubble-Konstante ein, indem er eine Reihe von Verfeinerungen benutzte, um die Konstruktion der kosmischen „Entfernungsmesser“ für das ferne Universum zu modernisieren und zu stärken. Sein Team suchte nach nahen Galaxien, die sowohl Cepheiden als auch kürzliche Typ-Ia-Supernovae enthielten – eine sehr seltene Begebenheit. Durch Vergleichen der scheinbaren Helligkeit der beiden Objektklassen konnten die Astronomen deren absolute Helligkeiten sehr exakt messen und daraus die Distanzen zu Typ-Ia-Supernovae in weit entfernten Galaxien berechnen.
Sie benutzten die Schärfe der neuen Wide Field Camera 3 (WFC3), um über 600 Cepheiden im sichtbaren und nahinfraroten Licht zu untersuchen, mehr als die Hälfte von ihnen zum ersten Mal. Das Team untersuchte auch eine größere Anzahl von Galaxien, die Cepheiden und Typ-Ia-Supernovae enthielten als die zuvor von Riess durchgeführte Hubble-Studie. Viele der Cepheiden wurden sorgfältig im Infrarotlicht beobachtet, das den sie umgebenden Staub durchdringt, was eine genauere Messung ihrer wahren Entfernung ermöglichte.
Durch die ausschließliche Verwendung der WFC3 eliminierte das Team von Riess die systematischen Fehler in der Entfernungsberechnung, die praktisch unvermeidbar sind, wenn man Messungen von unterschiedlichen Teleskopen vergleicht. Die Benutzung eines einzigen Instruments zur Messung der Hubble-Konstante ist wie die Vermessung eines Korridors mit einem Maßband, anstatt ein Lineal von Ende zu Ende zu legen. Weil man das Lineal nicht aufheben und neu anlegen muss, können Fehler vermieden werden. „Die WFC3-Kamera ist die leistungsfähigste, die jemals an Bord von Hubble für derartige Messungen eingesetzt wurde und kann die verbesserten Messungen in einem Bruchteil der Zeit vornehmen, die man vorher dafür benötigt hat“, sagte Riess.
Der Astronom hofft, dass das Hubble-Weltraumteleskop weiterhin auf diese Weise verwendet wird, um die Fehlergrenze der Hubble-Konstante noch mehr zu reduzieren und die Messungen der Eigenschaften von Dunkler Energie zu verfeinern. Er ergänzt, dass die heutige Fehlergrenze nochmal halbiert werden könne, wenn das Hubble-Weltraumteleskop den Weg für Verbesserungen außerhalb seiner Fähigkeiten frei macht, die aber das James Webb Space Telescope (JWST) besitzt, ein Infrarot-Weltraumobservatorium, dessen Start für dieses Jahrzehnt angesetzt ist.
Ein fliehendes Universum jagen
Riess hat seit 13 Jahren Jagd auf die Dunkle Energie gemacht. Er war Mitentdecker der Existenz von Dunkler Energie, indem er herausfand, dass entfernte Typ-Ia-Supernovae schwächer als erwartet waren, was bedeutet, dass sie weiter entfernt waren als bislang angenommen. Riess erkannte, dass die einzige Erklärung dafür in der beschleunigten Expansion des Universums in der Vergangenheit lag.
Bis zu dieser Entdeckung hatten Astronomen gemeinhin geglaubt, dass sich die kosmische Expansion durch den gravitativen Einfluss, den die einzelnen Galaxien aufeinander ausüben, verlangsamt. Aber die Ergebnisse ließen darauf schließen, dass eine mysteriöse Kraft der Gravitation entgegenwirkte und die Galaxien mit größer werdenden Geschwindigkeiten auseinander drückte.
Riess entschied, dass eine der besten Möglichkeiten, die Grenzen der Dunklen Energie zu bestimmen, eine exakte Messung der Hubble-Konstante wäre, was er mit dem Hubble-Weltraumteleskop vorgenommen hat. Diese Messung, kombiniert mit anderen Messungen der Wilkinson Microwave Anisotropy Probe (WMAP) der NASA, verfolgten das Verhalten des Universums fast vom Anbeginn der Zeit bis ins heutige Alter. WMAP zeigt das Universum wie es kurz nach dem Urknall aussah, bevor Sterne und Galaxien sich bildeten.
Riess ist nur einer von vielen Astronomen, die während der vergangenen 80 Jahre die Hubble-Konstante gemessen haben. Das Hubble-Weltraumteleskop hat eine wichtige Rolle bei der Messung der Expansion des Universums gespielt. Bevor Hubble im Jahr 1990 gestartet wurde, schwankten die Schätzungen der Hubble-Konstante um den Faktor Zwei. 1999 konnte das „Hubble Space Telescope Key Project on the Extragalactic Distance Scale“ den Wert der Hubble-Konstante auf eine Unsicherheit von zehn Prozent genau bestimmen.
Quelle: http://hubblesite.org/newscenter/archive/releases/2011/08/full/
(THK)
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