Forscher vom Institut für regenerative Medizin am Wake Forest University Baptist Medical Center, North Carolina, und ihre Kollegen haben am 7.3.2011 über einen weiteren Fortschritt bei der Gewebezüchtung berichtet. Erstmalig hat es ein Wissenschaftlerteam geschafft, aus körpereigenen Zellen eines Patienten im Labor maßgeschneiderte Harnröhren zu züchten und damit erfolgreich beschädigtes Gewebe bei den Patienten zu ersetzen.
In dem Artikel, der zuerst online in der Fachzeitschrift The Lancet veröffentlicht wurde, gab das Forschungsteam bekannt, bei fünf Jungen beschädigte Teile von Harnröhren (Urethra) ausgetauscht zu haben. Während des ganzen Folgezeitraums von durchschnittlich sechs Jahren zeigten Tests, die den Urindurchfluss und Durchmesser der Röhren maßen, dass das gezüchtete Gewebe funktionstüchtig blieb.
„Diese Ergebnisse lassen darauf schließen, dass im Labor gezüchtete Harnröhren erfolgreich bei Patienten eingesetzt werden können und damit eine Alternative zu herkömmlichen Methoden sein können, die eine hohe Fehlerquote besitzen“, sagte der Mediziner Dr. Anthony Atala, Chefautor, Direktor des Wake Forest Institute for Regenerative Medicine und Chirurg in der Kinder-Urologie. „Dies ist ein Beispiel dafür, wie die Strategien der Gewebezüchtung auf mannigfache Gewebearten und Organe angewendet werden können.“
Atalas Team verwendete eine ähnliche Methode wie beim Austausch von Harnblasen durch gezüchtete, die erstmals ab 1998 neun Kindern implantiert wurden. Diese Kinder waren damals die ersten Patienten auf der Welt, denen im Labor gezüchtete Organe eingepflanzt wurden. Die Forscher im Institut arbeiten momentan an der Entwicklung von mehr als 30 verschiedenen „Ersatz“ -gewebearten und -organen.
Beschädigte Harnröhren können Folge von Verletzungen, Krankheiten oder angeborene Schäden sein. Während man kleinere Defekte in der Tube oft einfach reparieren kann, erfordern größere Schäden oft ein Gewebeimplantat, das normalerweise aus der Haut oder der Innenseite der Wangen entnommen wird.
„Diese Implantate, die eine Versagerquote von mehr als 50 Prozent haben können, verengen sich oft, was zu Infektionen, Schwierigkeiten beim Wasserlassen, Schmerzen und Blutungen führen kann“, so Atlantida-Raya Rivera, leitender Autor und Direktor am HIMFG Tissue Engineering Laboratory der Metropolitan Autonomous University in Mexico City.
Zwischen März 2004 und Juli 2007 „baute“ das Wissenschaftlerteam Harnröhren für fünf Jungen im Alter zwischen 10 und 14, indem sie patienteneigene Zellen verwendeten. Drei der Patienten hatten ausgedehnte Verletzungen aufgrund von Becken-Traumata und zwei Patienten hatten bereits fehlgeschlagene Versuche hinter sich, die Harnröhre zu reparieren. Die hergestellten Tuben wurden dazu benützt, die beschädigte Urethra im kompletten Bereich zwischen Penis und Prostata zu ersetzen – was als am Schwierigsten gilt. Die Kinder in der Studie wurden am Federico Gomez Children’s Hospital in Mexico City behandelt.
Der erste Schritt bei der Schaffung des Ersatzteils der Harnröhre war die Entnahme einer kleinen (ca. 1,3 x 1,3 Zentimeter) Biopsie aus der Harnblase jedes Patienten. Aus jeder Probe isolierten die Wissenschaftler glatte Muskelfaserzellen und Endothelzellen, die Zellart, die Blutgefäße und andere röhrenförmige Organe auskleidet. Diese Zellen wurden dann im Labor drei bis sechs Wochen vermehrt und danach auf ein dreidimensionales Gerüst aufgebracht, das wie die Harnröhre geformt war. Die glatten Muskelfaserzellen kamen auf die Außenseite des Gerüstes und die Endothelzellen auf die Innenseite. Das Gerüst, das in der Form für jeden Patienten speziell angefertigt wurde, bestand aus einem biologisch abbaubaren Netzmaterial. Nachdem die Zellen darauf angebracht wurden, wurde das Gerüst sieben Tage lang inkubiert. Daraus ergibt sich eine Gesamtzeit für die Herstellung des Implantats von vier bis sieben Wochen. Am Tag Sechs war die komplette Oberfläche mit Zellen bedeckt.
Nach der Inkubationszeit wurden die Tuben operativ implantiert, indem man den defekten Abschnitt der Harnröhre und Narbengewebe entfernte und die Ersatztube an die richtige Stelle nähte. Erst einmal im Körper, breiteten sich die Zellen weiter aus und die Gewebebildung begann. Biopsien zeigten, dass die künstlich geschaffenen Harnröhren bereits drei Monate nach der Implantation normale Schichten von Epithelien und glattem Muskelgewebe aufwiesen. Messungen des Durchflusses, Urintests und Patientenbefragungen bestätigten die Zufriedenheit der Patienten, was auch durch ein Nichtauftreten von nächtlicher Blasenschwäche, schmerzhaften Wasserlassens und Infektionen des Harntraktes bestätigt wurde – was normalerweise die üblichen Symptome wären, wenn sich eine Harnröhre zusammen zieht.
Die Studie wurde in Teilen unterstützt vom National Institute of Diabetes and Digestive and Kidney Diseases. Als Wissenschaftler mitbeteiligt waren außerdem James J. Yoo und Shay Soker von der Wake Forest Baptist und Diego R. Esquiliano und Esther Bayghen von der Metropolitan Autonomous University in Mexiko.
(SOM)
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