Wenn Schwarze Löcher miteinander kollidieren, schlagen der umgebende Raum und die umgebende Zeit Wellen wie schwere See in einem Sturm. Diese Verzerrung von Raum und Zeit ist so kompliziert, dass Physiker nicht in der Lage waren, Einzelheiten der Abläufe zu verstehen – bis jetzt.
„Wir haben Wege gefunden, um verzerrte Raumzeit zu visualisieren wie niemals zuvor“, sagt Kip Thorne, Feynman Professor für Theoretische Physik im Ruhestand am California Institute of Technology (Caltech). Indem sie die Theorie mit Computersimulationen verknüpften, haben Thorne und seine Kollegen am Caltech, der Cornell University und dem National Institute for Theoretical Physics in Südafrika konzeptionelle Werkzeuge entwickelt, die sie als „Tendex Lines“ (Tendexlinien) und „Vortex Lines“ (Vortexlinien) bezeichnen.
Durch Verwendung dieser Werkzeuge haben sie entdeckt, dass Kollisionen von Schwarzen Löchern Vortexlinien erzeugen, die ein donutförmiges Muster bilden und sich von dem verschmolzenen Schwarzen Loch entfernen wie Zigarettenrauchringe. Die Forscher fanden auch heraus, dass diese Bündel von Vortexlinien – Vortexe genannt – von dem Schwarzen Loch wegspiralen können, wie Wasser von einer rotierenden Sprinkleranlage.
Die Wissenschaftler erklären Tendex- und Vortexlinien – und ihre Schlussfolgerungen für Schwarze Löcher – in einer Studie, die am 11. April online im Journal Physical Review Letters veröffentlicht wurde.
Tendex- und Vortexlinien beschreiben die Gravitationskräfte, die durch verzerrte Raumzeit erzeugt werden. Sie sind analog zu den elektrischen und magnetischen Feldlinien, die elektrische und magnetische Kräfte beschreiben.
Tendexlinien beschreiben die streckende Kraft, welche von verzerrter Raumzeit auf alles ausgeübt wird, was ihr begegnet. „Tendexlinien, die von dem Mond ausgehen, heben die Gezeiten in den Ozeanen der Erde“, sagt David Nichols, Caltech-Student, der den Begriff ‚Tendex‘ erfand. Die streckende Kraft dieser Linien würde einen Astronauten auseinander reißen, der in ein Schwarzes Loch fällt.
Vortexlinien beschreiben auf der anderen Seite die Verdrehung des Raums. Wenn man den Körper eines Astronauten entlang einer Vortexlinie ausrichten würde, würde er ausgewrungen werden, wie ein nasses Handtuch.
Wenn viele Tendexlinien zusammen gebündelt sind, erzeugen sie eine Region starker Streckungen, einen Tendex. Ein Bündel Vortexlinien erzeugt eine strudelnde Raumregion, Vortex genannt. „Alles, was in einen Vortex fällt, wird herumgewirbelt“, sagt Dr. Robert Owen von der Cornell University, der leitende Autor der Studie.
Tendex- und Vortexlinien liefern einen leistungsfähigen neuen Weg, um Schwarze Löcher, Gravitation und die Natur des Universums zu verstehen. „Durch Verwendung dieser Werkzeuge können wir den enormen Datenmengen, welche von unseren Computersimulationen produziert werden, viel besser einen Sinn geben“, sagt Dr. Mark Scheel, ein Senior Wissenschaftler am Caltech und Leiter der von dem Team durchgeführten Simulationen.
Durch Computersimulationen haben die Forscher entdeckt, dass zwei rotierende Schwarze Löcher, die miteinander kollidieren, verschiedene Vortexe und verschiedene Tendexe erzeugen. Wenn die Kollision frontal geschieht, stößt das verschmolzene Schwarze Loch Vortexe als donutförmige Regionen verdrehten Raumes aus und es stößt Tendexe als donutförmige gestreckte Regionen ab. Aber wenn die Schwarzen Löcher umeinander spiralen, bevor sie verschmelzen, dann spiralen ihre Vortexe und Tendexe aus dem verschmolzenen Schwarzen Loch heraus. In jedem Fall – donutförmig oder spiralförmig – werden die sich nach außen bewegenden Vortexe und Tendexe zu Gravitationswellen – die Art von Wellen, welche das vom Caltech betriebene Laser Interferometer Gravitational-Wave Observatory (LIGO) zu registrieren versucht.
„Mit diesen Tendexen und Vortexen sind wir vielleicht in der Lage, die Wellenformen von Gravitationswellen, nach denen LIGO sucht, besser vorherzusagen“, sagt Yanbei Chen, außerordentlicher Professor für Physik am Caltech und Leiter der theoriebezogenen Anstrengungen des Teams.
Zusätzlich haben Tendexe und Vortexe es den Forschern erlaubt, das Geheimnis hinter dem Gravitations-Kick eines verschmolzenen Schwarzen Lochs im Zentrum einer Galaxie zu lösen. Im Jahre 2007 entdeckte ein Team der University of Texas in Brownsville unter der Leitung von Professorin Manuela Campanelli mittels Computersimulationen, dass kollidierende Schwarze Löcher einen gerichteten Gravitationswellenausbruch produzieren können, welcher bei dem verschmolzenen Schwarzen Loch einen Rückstoß auslöst, wie ein Gewehr, das eine Kugel abfeuert. Der Rückstoß ist so stark, dass er das verschmolzene Schwarze Loch aus seiner Galaxie herausschleudern kann. Aber niemand verstand, wie dieser gerichtete Ausbruch von Gravitationswellen erzeugt wird.
Thornes Team hat – ausgestattet mit ihren neuen Werkzeugen – jetzt die Antwort gefunden. Auf der einen Seite des Schwarzen Lochs kommen die Gravitationswellen der spiralenden Vortexe mit den Wellen der spiralenden Tendexe zusammen. Auf der anderen Seite löschen sich die Vortex- und Tendexwellen gegenseitig aus. Das Ergebnis ist ein Ausbruch von Gravitationswellen in eine Richtung, wodurch das verschmolzene Schwarze Loch einen Rückstoß erhält.
„Obwohl wir diese Werkzeuge für Kollisionen von Schwarzen Löchern entwickelt haben, können sie überall da angewandt werden, wo die Raumzeit gekrümmt wird“, sagt Dr. Geoffrey Lovelace, ein Mitglied des Teams von der Cornell University. „Zum Beispiel denke ich, dass man Vortex- und Tendexlinien in der Kosmologie anwenden wird, bei Schwarzen Löchern, die Sterne auseinander reißen und bei den Singularitäten im Innern von Schwarzen Löchern. Sie werden zu Standardwerkzeugen in der allgemeinen Relativität.“
Das Team bereitet derzeit mehrere Nachfolgestudien mit neuen Ergebnissen vor. „Ich habe noch nie eine Studie mit erstellt, in der praktisch alles neu ist“, sagt Thorne, der Hunderte von Artikeln verfasst hat. „Aber das ist hier der Fall.“
Die anderen Autoren der Studie in den Physical Review Letters(Originaltitel: „Frame-dragging vortexes and tidal tendexes attached to colliding black holes: Visualizing the curvature of spacetime“) sind Dr. Jeandrew Brink vom National Institute for Theoretical Physics in South Africa und die Caltech-Studenten Jeff Kaplan, Keith D. Matthews, Fan Zhang, and Aaron Zimmerman.
Die Forschung wurde von der National Science Foundation, der Sherman Fairchild Foundation, der Brinson Foundation, der NASA und dem David and Barbara Groce Fund unterstützt.
Quelle: http://mr.caltech.edu/press_releases/13410
(THK)
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