Neue Beobachtungen zeigen, dass die Bildung von Galaxien viel früher begann als gedacht

Der Galaxienhaufen Abell 383 und die beiden markierten Bilder der Galaxie (NASA, ESA, J. Richard (CRAL) and J.-P. Kneib (LAM). Acknowledgement: Marc Postman (STScI))
Der Galaxienhaufen Abell 383 und die beiden markierten Bilder der Galaxie (NASA, ESA, J. Richard (CRAL) and J.-P. Kneib (LAM). Acknowledgement: Marc Postman (STScI))

Durch den Verstärkungseffekt einer kosmischen Gravitationslinse haben Astronomen eine entfernte Galaxie entdeckt, deren Sterne unerwartet früh in der kosmischen Vergangenheit geboren wurden. Dieses Ergebnis wirft neues Licht auf die Entstehung der ersten Galaxien und die frühe Entwicklung des Universums.

Johan Richard (CRAL, Observatoire de Lyon), der leitende Autor einer neuen Studie sagt: „Wir haben eine entfernte Galaxie gefunden, die nur 200 Millionen Jahre nach dem Urknall mit der Produktion von Sternen begann. Das fordert Theorien heraus, die beschreiben, wie früh in den ersten Jahren des Universums sich Galaxien gebildet und entwickelt haben.“

Richards Team fand die Galaxie in kürzlichen Beobachtungen mit dem Hubble Space Telescope der NASA/ESA und bestätigten die Entdeckung mit Beobachtungen des Spitzer Space Telescope. Die Entfernung wurde mit dem W. M. Keck Observatory in Hawaii gemessen.

Die entfernte Galaxie ist sichtbar durch einen Galaxienhaufen namens Abell 383, dessen enorme Gravitation die Lichtstrahlen fast wie ein Vergrößerungsglas bündelt. Die zufällige Ausrichtung von Galaxie, Cluster und Erde verstärkt das Licht, das uns von dieser entfernten Galaxie erreicht, was den Astronomen detaillierte Observationen erlaubt. Ohne die Gravitationslinse wäre die Galaxie zu lichtschwach gewesen, um sogar mit den heutigen größten Teleskopen beobachtet zu werden.

Nachdem man die Galaxie auf den Bildern von Hubble und Spitzer lokalisiert hatte, führte das Team spektroskopische Beobachtungen mit dem Keck-II Telescope in Hawaii durch. Spektroskopie nennt man die Technik, bei der Licht in seine einzelnen Farben zerlegt wird. Durch die Analyse der Spektren dieser Galaxie war das Team in der Lage, detaillierte Messungen ihrer Rotverschiebung vorzunehmen und Informationen über die Eigenschaften ihrer Sterne abzuleiten. Weil das Universum expandiert, wird das Licht entfernter Objekte gedehnt und gerötet, ein Phänomen bekannt als Rotverschiebung. Je weiter ein Objekt entfernt ist, desto größer ist seine Rotverschiebung. Für sehr entfernt liegende Objekte kann die Rotverschiebung benutzt werden, um die Entfernung zu bestimmen.

Die Rotverschiebung der Galaxie beträgt 6,027, das heißt, wir sehen sie so wie sie aussah, als das Universum ungefähr 950 Millionen Jahre alt war. Weil Licht mit endlicher Geschwindigkeit reist, sehen wir immer weiter in die Vergangenheit, je entfernter ein Objekt ist. Für ein Objekt mit einer Rotverschiebung von sechs war das Licht rund 12,8 Milliarden Jahre zur Erde unterwegs. Weil wir wissen, dass das Universum etwa 13,75 Milliarden Jahre alt ist, bedeutet dies, dass wir das Objekt in dem Zustand sehen, wie es weniger als eine Milliarde Jahre nach dem Urknall war. Die Rotverschiebung ist daher ein Maß für die Zeitspanne seit dem Urknall und für die Entfernung eines Objektes.

Wirkungsweise einer Gravitationslinse (NASA, ESA & L. Calçada)
Wirkungsweise einer Gravitationslinse (NASA, ESA & L. Calçada)

Die Distanzbestimmung macht die Galaxie nicht zur entferntesten bisher entdeckten Galaxie – mehrere wurden mit Rotverschiebungen über acht bestätigt und bei einer wird die Rotverschiebung auf circa zehn geschätzt, was sie 400 Millionen Jahre früher platziert. Allerdings besitzt die neue Entdeckung dramatische Unterschiede zu anderen entfernten beobachteten Galaxien, die normalerweise nur hell leuchtende junge Sterne besitzen.

„Als wir die Spektren anschauten, waren zwei Dinge klar“, erklärt Co-Autor Eiichi Egami. „Die Rotverschiebung platzierte sie in die sehr ferne kosmische Vergangenheit, wie wir erwarteten. Aber die Spitzer-Infrarotbeobachtungen deuteten auch darauf hin, dass die Galaxie aus überraschend alten und relativ leuchtschwachen Sternen bestand. Das zeigte uns, dass die Galaxie aus rund 750 Millionen Jahre alten Sternen bestand – was den Zeitraum ihrer Entstehung auf rund 200 Millionen Jahre nach dem Urknall zurückdrängt – viel weiter als wir erwartet hatten.“

Co-Autor Dan Stark fährt fort: „Dank der Verstärkung des Galaxienlichts durch die Gravitationslinse haben wir Daten von exzellenter Qualität. Unsere Arbeit bestätigt einige frühere Beobachtungen, die auf die Präsenz alter Sterne in frühen Galaxien hindeuteten. Das spricht dafür, dass die ersten Galaxien schon viel früher existierten als bisher gedacht.“

Die Entdeckung hat Auswirkungen auf die Frage, wann erstmals Galaxien entstanden und könnte dabei helfen zu erklären, wie das Universum in der ersten Milliarde Jahre nach dem Urknall durchsichtig für ultraviolettes Licht wurde. In den frühen Jahren des Kosmos blockte ein diffuser Nebel aus Wasserstoffgas das ultraviolette Licht im Universum. Eine Strahlungsquelle muss das diffuse Gas daher schrittweise ionisiert und den Nebel gelichtet haben, um es für ultraviolette Strahlen so durchsichtig zu machen wie es heute ist – ein Prozess der als Re-Ionisation bekannt ist.

Astronomen glauben, dass die Strahlung, welche diese Re-Ionisation hervorrief, von Galaxien kam. Aber bis jetzt wurden nirgendwo genug von ihnen gefunden, um die notwendige Strahlung zu liefern. Die Entdeckung könnte helfen, dieses Rätsel zu lösen.

„Es klingt wahrscheinlich, dass es tatsächlich weit mehr Galaxien im frühen Universum gab als wir bisher geschätzt haben – nur, dass viele Galaxien älter und leuchtschwächer sind, wie die, die wir gerade entdeckt haben“, sagt Co-Autor Jean-Paul Kneib. „Wenn diese unbeobachtete Armee aus leuchtschwachen, älteren Galaxien wirklich dort draußen ist, könnte sie die benötigte Strahlung geliefert haben, um das Universum durchlässig für ultraviolettes Licht zu machen.“

Heutzutage können wir diese Galaxien nur durch massive Galaxienhaufen beobachten, die als kosmische Teleskope fungieren. In den kommenden Jahren wird sich das für den Start zum Ende des Jahrzehnts vorgesehene NASA/ESA/CSA James Webb Space Telescope auf hochauflösende Beobachtungen von entfernten, stark rotverschobenen Objekten spezialisieren. Deswegen wäre es bestens dafür geeignet, dieses Rätsel ein für allemal zu lösen.

Quelle: http://www.spacetelescope.org/news/heic1106/

(THK)

Werbung

Ersten Kommentar schreiben

Antworten

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht.


*