Seit den 1830er Jahren dachten Wissenschaftler, sie hätten die Nahrungsbeschaffung von Kolibris verstanden.
Es lief ungefähr so ab: Die kleinen Kerlchen schweben vor einer farbenfrohen Blüte, stecken ihre röhrenartige Zunge in den Nektar am Blütengrund und Zack: durch einen physikalischen Trick steigt die zuckerhaltige Flüssigkeit in die Röhren der Zunge auf, um in Energie verwandelt zu werden, welche diese kleinen Flügel antreibt.
Aber da gab es ein Problem. Diese Hypothese wurde nie getestet, aber für mehr als 180 Jahre als Tatsache genommen.
Jetzt hat ein Student der Ökologie und Evolutionsbiologie am College of Liberal Arts and Sciences der University of Connecticut diese Theorie widerlegt. Durch Verwendung von hochauflösenden Hochgeschwindigkeits-aufnahmen hat Alejandro Rico-Guevara gezeigt, dass die Kolibrizungen nicht mit dem Kapillareffekt arbeiten, sondern die Flüssigkeiten stattdessen durch dramatische Formveränderungen einfangen.
Rico-Guevara veröffentlichte seine Ergebnisse am 2. Mai in dem wissenschaftlichen Journal Proceedings of the National Academy of Sciences.
„Kolibris sind klein, schnell und sie ernähren sich von Blüten, in die man nur schwer hineinblicken kann“, sagt Rico-Guevara. Diese drei Faktoren hielten Wissenschaftler davon ab, die Nahrungsbeschaffung von Kolibris exakt zu beobachten – bis zum Anbruch moderner Technologie.
Im frühen 19. Jahrhundert vermuteten Biologen, dass Kolibris Nektar aus Blüten tranken, indem sie den Kapillareffekt nutzen, den passiven Prozess, wenn eine Flüssigkeit in einer schmalen Röhre nach oben steigt, weil Kräfte die Flüssigkeit an die feste innere Oberfläche der Röhre ziehen. „Die Idee war zunächst kontrovers“, sagt Rico-Guevara. „Aber sie wurde akzeptiert, weil sie teilweise so schwer zu testen war.“
150 Jahre später benutzten Biologen Computerprogramme, um nachzubilden, was sie in der Natur sahen. Durch Verwendung der Kapillareffekttheorie sagte eine Gruppe Wissenschaftler voraus, dass Kolibris dünnflüssigen, wässrigen Nektar gegenüber dickeren Flüssigkeiten bevorzugen sollten. Dieses Ergebnis machte Rico-Guevara nach eigenen Angaben skeptisch, weil viele Vögel tatsächlich dickeren Nektar bevorzugen.
„Die Herausforderung war: Wie bestimmt man, was vor sich geht, wenn man nicht in den Mund des Vogels hineinsehen kann?“ sagt die Dozentin Margaret Rubega, die Rico-Guevaras Promotion betreut und mit ihm zusammen an der Studie arbeitete.
„Wir wollten nicht einfach akzeptieren, was in den Büchern steht“, ergänzt Rico-Guevara. „Der Kapillareffekt schien möglich zu sein, aber er konnte nicht die ganze Erklärung sein.“
Also testete Rico-Guevara die Theorie an 30 Kolibriarten, viele davon in den Andes Mountains in seinem Herkunftsland Kolumbien. Er nutzte Hochgeschwindigkeitsaufnahmen, um die Nahrungsaufnahme von Kolibris an Futterstellen mit durchsichtigen Wänden aufzuzeichnen, damit er ihre Zungen beim Trinkprozess beobachten konnte.
Was er fand, war anders als die Vorhersagen der Theorie. Rico-Guevara beobachtete, dass die Röhren sich bei Kontakt mit einer Flüssigkeit voneinander trennten und Ähnlichkeit mit der gespaltenen Zunge einer Schlange hatten. Die Röhren dehnen sich aus und zeigen winzige längliche Fransen, die Nektar fangen und sich dann zurückziehen, wobei sie die Flüssigkeit mit sich in den Mund der Vögel ziehen.
Rico-Guevara denkt, dass dieses neue Konzept nicht nur Kolibris betreffen könnte – es ist möglich, dass andere der mehr als 200 Typen nektartrinkender Vögel mit vergleichbaren Zungen ebenfalls diese Prozess verwenden. Falls dem so ist, könnte das die Denkweise der Wissenschaftler über das Verhalten, die Ökologie und die Entwicklung dieser Vögel verändern.
Zusätzlich weisen die Forscher darauf hin, dass dieser neue flüssigkeitssammelnde Prozess nützlich für Ingenieure sein könnte. Ein Merkmal dieses Mechanismus ist Rubega zufolge, dass er keine Energie von dem Vogel benötigt; alle Bewegungen entstehen durch Druckveränderungen und molekulare Interaktionen zwischen der Kolibrizunge und der umgebenden Flüssigkeit. Diese Methode könnte richtungsweisend für die Erzeugung energiesparender Flüssigkeitstransport-Instrumente sein.
Weil es nicht jeden Tag vorkommt, dass ein Doktorand eine 180 Jahre alte wissenschaftliche Hypothese widerlegt, sagt Rico-Guevara, dass seine eigene Reaktion auf seine Ergebnisse größtenteils positiv war, aber zeitweise auch nervenaufreibend.
„Ich werde meinen Kollegen davon erzählen und es ist ein bisschen gruselig“, sagt er. „Aber es ist auch sehr aufregend.“
Video-Link: https://youtu.be/z-gIr6l6OnQ
Video-Link: https://youtu.be/udpv63VSJpI
Video-Link: https://youtu.be/hBj4MA0Vr8E
Oben: Diese drei Hochgeschwindigkeitsvideos zeigen eine Kolibrizunge bei der Arbeit. (Univ. of Connecticut)
Quelle: http://blogs.nature.com/news/thegreatbeyond/2011/05/how_hummingbird_tongues_work.html
(THK)
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