Ein Rosetta-Stein für Gehirnwellen

Beta-Wellen eines menschlichen Gehirns. (Wikipedia / User: Hugo Gamboa / CC BY-SA 3.0)
Beta-Wellen eines menschlichen Gehirns. (Wikipedia / User: Hugo Gamboa / CC BY-SA 3.0)

Wann immer wir die Welt um uns beobachten oder im Schlaf davon träumen, produzieren unsere Neuronen sogenannte Gehirnwellen – koordinierte Initialmuster, die elektrische Signale hervorrufen, welche sich in regelmäßigen Mustern wiederholen.

Doch bis jetzt ist es noch weitgehend unerforscht, welche Botschaften in diesen Gehirnwellen verschlüsselt sind und wie genau sie kodiert sind. Das Problem dabei ist, dass das Gehirn seine eigene Sprache besitzt, was das Senden und Empfangen von Signalen betrifft. Die Wissenschaftler haben zwar bereits große Fortschritte beim Entschlüsseln mancher Teile dieser Sprache gemacht, doch die Meisten sind noch sehr mysteriös, darunter auch die Botschaften bei Gehirnwellen.

Der Rosetta-Stein gestattete es Archäologen, ägyptische Hieroglyphen zu entschlüsseln, indem er zeigte, was diese Zeichen auf gut bekanntem Altgriechisch bedeuteten. Auf ähnliche Weise macht eine neue Studie von Philippe Schyns und seinen Kollegen vom Institute of Neuroscience and Psychology an der University of Glasgow die ersten Schritte in Richtung Knacken des Gehirnwellencodes, indem man diese Wellen mit einem gut untersuchtem Verhalten vergleicht: nämlich wie Menschen auf das Betrachten von Gesichtern reagieren.

Das Team rekrutierte sechs Freiwillige und setze jedem von ihnen Bilder von Gesichtern vor, die grundlegende Emotionen wie Fröhlichkeit, Angst oder Überraschung widerspiegelten. Diese Bilder wurden per Zufallsprinzip teilweise von Masken überdeckt, so dass die Freiwilligen zum Beispiel nur die Augen und einen Teil des Mundes sehen konnten. Dabei wurden sie gebeten zu sagen, welche Emotion sie in dem Bild erkennen können. Das Team hielt fest, ob die Aussage richtig oder falsch war. Während dieser Gesichts-Erkennungstests wurden die Gehirnwellen jedes Probanden mit Hilfe von Elektroenzephalografie (EEG) gemessen, indem man ihnen eine Haube mit mehreren Dutzend Elektroden aufsetzte, die ihre Kopfhaut berührten.

Indem sie die Gehirnwellensignale mit den Gesichtern koordinierten, die die Probanden sahen und deren Antworten, welche Emotion sie im Foto erkennen konnten, konnten Schyns und seine Kollegen eine Art Rosetta-Stein für Gehirnwellen erschaffen.

Ein Gehirn hat verschiedenen Frequenzen für bestimmte Wellen – die Thetawellen zum Beispiel liegen bei ungefähr 4 Hertz , wiederholen sich also jede Viertel Sekunde, und die sogenannten Betawellen haben in etwa 12 Hertz. Die Wissenschaftler fanden heraus, dass die Schwingungen des Gehirns bei bestimmten Frequenzen offenbar bestimmte Informationen zu dem Gesicht übertrugen – so wie ein bestimmter Fernsehkanal zum Beispiel überwiegend Sportsendungen überträgt und ein anderer Nachrichten. In einem Fall verschlüsselten die Betawellen zum Beispiel zwei Augen und die Thetawellen den Mund. Indem man mehrere Frequenzen benutzt, um zwei verschiedenen Teile des Gesichts zu kodieren – ein Prozess, den man auch Multiplexverfahren nennt – kann das Gehirn mehr Signale zur selben Zeit senden, so wie mehrere Fernsehkanäle auch den „Ätherwellen“ gestatten, mehr Informationen gleichzeitig zu übertragen.

Schyns und seine Kollegen fanden heraus, dass innerhalb jeder Wellenart die Information auf mehr als eine Weise kodiert werden kann. Eine Verschlüsselungsart ist das Timing oder die Phase der Welle. Wenn sie sich verschiebt und in der Frequenz vom Grundbrummen des Gehirns etwas abweicht, übermittelt es Information, mit einer Verschiebung, die zwischen 0 und 360 Grad dargestellt wird (so wie der Minutenzeiger einer Uhr in einer Stunde eine 360-Grad-Umdrehung macht). Betawellen benutzen beim Verschlüsseln von Augen eine Phasenverschiebung zwischen 45° und 90°, während die Thetawellen den Mund mit einer Phasenverschiebung zwischen 270° und 315° kodieren, wie in der Studie herausgefunden wurde.

In der Studie wurde ebenfalls herausgefunden, dass das Gehirn Informationen auch in der Amplitude der Oszillation verschlüsseln kann. Indem man statistische Maßeinheiten benutzte, um die Stärke der Verbindung zwischen der Antwort der Probanden und den begleitenden Gehirnwellen einzuschätzen, legten die Forscher fest, welche Aspekte der Gehirnwellen die meisten Informationen verschlüsselten. Sie fanden heraus, dass bei Phasenschwankungen 2,4 Mal so viele Informationen verschlüsselt wurden als bei Amplitudenschwankungen. Und wenn die Gehirnwellen Phase und Amplitude kombinierten, kodierten sie dreimal so viele Informationen, wie sie bei der Amplitude alleine taten.

Durch den Nachweis der Schlüsselrolle der Phase beim Kodieren von Informationen und durch das Auftrennen der Anteile der unterschiedlichen Arten, wie das Gehirn Informationen verschlüsseln kann – Amplitude, Phase und Frequenzen – hoffen Schyns und seine Kollegen darauf, dass sie einen neuen Weg erschlossen haben, um die Oszillationen des Gehirns dechiffrieren zu können.

Quelle: http://www.plosbiology.org/article/info%3Adoi%2F10.1371%2Fjournal.pbio.1001063

(SOM)

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