Syrischer Obsidian eröffnet neues Kapitel in der Erforschung des Mittleren Ostens

Dr. Ellery Frahm (University of Sheffield)
Dr. Ellery Frahm (University of Sheffield)

Ein Archäologe der University of Sheffield enthüllt den Ursprung und die Handelsrouten der Rasierklingen-scharfen Steinwerkzeuge vor 4.200 Jahren.

Antike Stätten und das Kulturerbe Syriens sind wegen der momentanen Konflikte unter ständiger Bedrohung. Ein interdisziplinäres Forschungsteam hofft, dass diese neue Entdeckung, die großen Einfluss auf das Verständnis des ersten Imperiums der Welt hat, dabei helfen wird, die Bedeutung der Wichtigkeit des Schutzes von Syriens Kulturerbe hervorzuheben.

Obsidian, natürlich vorkommendes vulkanisches Glas, ist glatt, hart und an Bruchstellen viel schärfer als ein Skalpell, was ihn in der Menschheitsgeschichte meist zu einem begehrten Rohmaterial zur Herstellung von Steinwerkzeugen machte. Tatsächlich wurden Obsidianwerkzeuge im antiken Mittleren Osten noch über Jahrtausende nach der Einführung von Metall hinweg benutzt und selbst heute noch werden Obsidianklingen als Skalpelle bei bestimmten medizinischen Vorgängen verwendet.

In einer interdisziplinären Zusammenarbeit haben Forscher aus Sozial- und Geowissenschaften Obsidianwerkzeuge untersucht, die an der archäologischen Grabungsstätte Tell Mozan gefunden wurden, welche in Syrien nahe der Grenzen zur Türkei und dem Irak liegt. Durch Verwendung neuartiger Methoden und Technologien entdeckte das Team den bis dahin unbekannten Ursprung und die Wege des begehrten Rohmaterials während der Bronzezeit vor mehr als vier Jahrtausenden.

Der meiste Obsidian aus Tell Mozan (und umliegenden Grabungsstätten) stammte von mehr als 200 Kilometer entfernten Vulkanen in der heutigen Ost-Türkei, wie es auch aufgrund von Modellen alter Handelsrouten erwartet wurde, die von Archäologen in den letzten 50 Jahren entwickelt worden waren. Aber das Team entdeckte auch einige Teile von exotischen Obsidianartefakten, die von einem Vulkan in der Zentral-Türkei stammen, der dreimal so weit entfernt liegt. Genauso wichtig wie ihr weit entfernter Ursprungsort ist jedoch auch, wo die Artefakte entdeckt wurden: nämlich im Hof eines königlichen Palastes. Die Artefakte wurden dort während der Blütezeit des ersten Imperiums der Welt, dem Akkadischen Großreich, zurückgelassen, das während der Bronzezeit in Syrien einfiel. Diese Entdeckung hat aufregende Auswirkungen für das Verständnis von Zusammenhängen zwischen Ressourcen und Imperien im Mittleren Osten.

Dr. Ellery Frahm, Stipendiat eines Marie Curie Fellowships an der Abteilung für Archäologie der University of Sheffield, war Leiter der Untersuchung. Er sagte: „Dies ist eine seltene, wenn nicht gar einzigartige Entdeckung in Nord-Mesopotamien, die neue Einsichten in die sich verändernde Volkswirtschaft und Geopolitik der Bronzezeit ermöglicht. Wir können genau feststellen, woher ein Obsidianartefakt stammt, weil jede vulkanische ‚Quelle‘ einen einzigartigen ‚Fingerabdruck‘ besitzt. Deshalb ist die Ursprungsbestimmung von Obsidian ein mächtiges Werkzeug bei der Rekonstruktion von Handelsrouten, sozialen Grenzen und weiteren Informationen, die uns gestatten, uns an Debatten der Sozialwissenschaften zu beteiligen.“

Obsidianartefakte aus Göllü Dag in Zentralanatolien (links) und aus ostanatolischen Quellen (rechts). (Frahm et. al. / University of Sheffield)
Obsidianartefakte aus Göllü Dag in Zentralanatolien (links) und aus ostanatolischen Quellen (rechts). (Frahm et. al. / University of Sheffield)

Frahm und seine Kollegen konnten nicht nur den genauen Vulkan identifizieren, von dem die Artefakte stammten, sie konnten sogar exakt die Flanke des Vulkans festlegen, an der der Obsidian gesammelt worden war und stellten fest, dass das Rohmaterial an zwei unterschiedlichen Punkten an diesen Hängen aufgehoben worden war. Eine solche Genauigkeit war nur möglich durch die Verwendung einer Kombination wissenschaftlicher Techniken, darunter ein tragbares Röntgenanalysegerät, das an die archäologischen Grabungsstätten gebracht werden kann und Instrumenten, die selbst schwache magnetische Signale in Gestein messen können.

Die frühesten Methoden, um Obsidianartefakte aus dem Mittleren Osten ihrem vulkanischen Ursprungsort zuzuordnen, wurden teilweise von dem berühmten Archäologen Colin Renfrew an der University of Sheffield entwickelt, der von 1965 bis 1972 Dozent an der Abteilung für Frühgeschichte und Archäologie war. Frahm sagte: „Jahrzehnte später fahren wir damit fort, die ursprünglichen Methoden zu verfeinern. Neue Technologien gestatten uns, neue Methoden auszuprobieren. Leistungsfähige Analysewerkzeuge können jetzt mit uns zusammen an die Grabungsstätten gebracht werden und empfindliche magnetische Instrumente helfen uns dabei, Steinbrüche mit einer Genauigkeit zu unterscheiden , wie es zuvor nie möglich war. Unsere Entdeckungen in Tell Mozan zeigen, dass es sogar im Mittleren Osten, dem Geburtsort der Obsidian-Beschaffung, immer noch Überraschungen gibt.“

Frahm betont: Die Erforschung der Verwendung und des Ursprungs des Obsidians enthüllt einige stringente Parallelen mit dem modernen Mittleren Osten und wirft ein Echo auf Probleme, mit denen die Region heutzutage konfrontiert ist. Wir glauben zum Beispiel, dass eindringende Mächte, die die Kontrolle über wertvolle Ressourcen erlangen wollten, mit Widerstand gegen die Besatzung zu kämpfen gehabt hätten, die von kleinen Staaten in dieser Region ausgegangen wäre, welche von Menschen regiert wurden, die anderswo im Mittleren Osten ethnische Minderheiten gewesen wären.“

„Ein Aufstand in den Bergen hätte mit einer Blockade der natürlichen Ressourcen enden können und die Kolonisatoren wären dann gezwungen gewesen, stattdessen nach Ressourcen aus weiter entfernten Quellen zu suchen und Allianzen mit anderen regionalen Machthabern einzugehen, um ihren Status zu erhöhen. Dies war so vor 4.200 Jahren während der Bronzezeit – und die Parallelen zur neueren Geschichte dieser Gegend sind bemerkenswert.“

Überblick über die Ausgrabungsstätte Tell Mozan. (Frahm et. al. / University of Sheffield)
Überblick über die Ausgrabungsstätte Tell Mozan. (Frahm et. al. / University of Sheffield)

Dr. Frahm interessiert sich auch für die Beziehungen zwischen der humanitären und der archäologischen Arbeit in der Region. Er fügt hinzu: „Ich kam als Amerikaner nach Syrien, nachdem die USA Syrien als Teil der ‚Achse des Bösen‘ bezeichnet hatten und ich hatte dort nur positive Erfahrungen. Absolut Fremde nahmen mich in ihren Wohnungen auf während meiner Reise von Damaskus zur Grabungsstätte, zu der auch eine neunstündige Busfahrt durch die syrische Wüste gehörte. Ich wurde willkommen geheißen, mit Essen versorgt, mir wurde eine Dusche angeboten und frische Kleidung zum Wechseln, ich wurde der Familie und Freunden vorgestellt und mir wurde die Stadt gezeigt. Die Familienmitglieder diskutierten darüber, wessen Haus die bessere Unterkunft für mich sei, um dort die Nacht zu verbringen.“

„Die momentane Lage in Syrien ist tragisch und prekär. Aus beruflichen sowie persönlichen Gründen verfolge ich die Entwicklungen in Syrien genau. Es kann dermaßen überwältigend und herzzerreißend sein, dass ich dabei eine Pause einlegen muss, wobei ich, im Gegensatz zu den Menschen, die mitten in den Kämpfen leben müssen, den Luxus habe, das tun zu können. Was auch immer die Zukunft bringen wird, es wird dort eine Menge Arbeit geben, sowohl humanitär als auch archäologisch und ich interessiere mich sehr für die Schnittstellen zwischen beiden. Wie kann ein Archäologe Syrien möglicherweise dabei helfen, sich davon zu erholen?“

Seine nächste Untersuchung von syrischen Obsidianartefakten erforscht, was mit dem Handel und den sozialen Netzwerken geschah, als die Städte der Bronzezeit im Sog des Zusammenbruchs regionaler Regierungen und zunehmender Dürren aufgrund von Klimaveränderungen aufgegeben wurden.

Dr. Frahms Studie wurde jetzt online im Journal of Archaeological Science veröffentlicht. Die Studie wurde in Teilen finanziert vom Marie Curie Network „New Archaeological Research Network for Integrating Approaches to Ancient Material Studies“ (NARNIA), das sich auf die Archäologie im Östlichen Mittelmeerraum konzentriert.

Quelle: http://www.shef.ac.uk/news/nr/syrian-obsidian-discovery-opens-new-middle-eastern-studies-1.205697

(SOM)

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