Blue Brain Project sagt Verbindungen zwischen Neuronen voraus

Ein Pyramiden-Neuron in der Großhirnrinde einer Maus. Die Verästelungen (Dendriten) sind gut erkennbar. (Wei-Chung Allen Lee, Hayden Huang, Guoping Feng, Joshua R. Sanes, Emery N. Brown, Peter T. So, Elly Nedivi)
Ein Pyramiden-Neuron in der Großhirnrinde einer Maus. Die Verästelungen (Dendriten) sind gut erkennbar. (Wei-Chung Allen Lee, Hayden Huang, Guoping Feng, Joshua R. Sanes, Emery N. Brown, Peter T. So, Elly Nedivi)

Eine der größten Herausforderungen in der Neurowissenschaft ist es, den Plan der synaptischen Verbindungen zwischen Neuronen zu identifizieren. Als „Konnektom“ bezeichnet, ist es der Heilige Gral, der erklären wird, wie Informationen im Gehirn fließen. In einer bahnbrechenden Abhandlung, die diese Woche in den Proceedings of the National Academy of Sciences (PNAS) veröffentlicht wird, hat das Blue Brain Project (BBP) der École polytechnique fédérale de Lausanne (EPFL) Schlüsselprinzipien identifiziert, welche die Synapsen-Konnektivität durch die virtuelle Rekonstruktion eines kortikalen Mikroschaltkreises bestimmen und ihn mit der Probe eines Säugetieres vergleichen. Diese Prinzipien machen es jetzt möglich, die Positionen von Synapsen im Neokortex vorherzusagen.

„Dies ist ein wichtiger Durchbruch, weil es sonst Jahrzehnte, wenn nicht Jahrhunderte dauern würde, um die Position jeder Synapse im Gehirn zu kartieren und er macht es jetzt auch so viel leichter, genaue Modelle zu konstruieren“, sagt Henry Markram, Leiter des BBP.

Ein lange bestehendes neurowissenschaftliches Rätsel war, ob all die Neuronen unabhängig wachsen und nur das nehmen, was sie bekommen, wenn ihre Verästelungen (Dendriten; Anm. d. Red.) ineinandergreifen, oder werden die Verästelungen jedes Neurons durch chemische Signale spezifisch geleitet, um ihre Ziele zu finden. Um das Rätsel zu lösen, schauten die Forscher in eine virtuelle Rekonstruktion eines kortikalen Mikroschaltkreises, um zu sehen, wo die Dendriten ineinandergriffen. Zu ihrer Überraschung fanden sie heraus, dass die Positionen in dem Modell mit einer Genauigkeit von 75 bis 95 Prozent mit denen der Synapsen in dem Schaltkreis des richtigen Gehirns übereinstimmten.

Das bedeutet, dass Neuronen so unabhängig voneinander wachsen, wie es physikalisch möglich ist und hauptsächlich Synapsen an den Positionen bilden, wo sie zufällig ineinander greifen. Es wurden auch wenige Ausnahmen entdeckt, die auf Spezialfälle hindeuten, in denen Signale von den Neuronen verwendet werden, um die statistische Konnektivität zu verändern. Wenn es diese Ausnahmen in Betracht zieht, kann das das Blue Brain Team jetzt eine fast perfekte Vorhersage der Positionen aller Synapsen machen, die sich innerhalb des Schaltkreises gebildet haben.

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Video-Link: https://youtu.be/mOGuOFj7VqM

Video-Bericht über die Ergebnisse des Blue Brain Project. (EPFL)

Virtuelle Rekonstruktion

Das Ziel des BBP ist es, Erkenntnisse aus allen spezialisierten Bereichen der Neurowissenschaften zu integrieren, um aus ihnen die fundamentalen Prinzipien abzuleiten, die die Struktur und Funktion des Gehirns steuern und letztendlich die Gehirne verschiedener Spezies – das menschliche Gehirn eingeschlossen – in einer computergestützten Simulation zu rekonstruieren. Die aktuelle Abhandlung liefert eine weitere Machbarkeitsstudie für den Ansatz, indem sie erstmals demonstriert, dass die Verteilung der Synapsen oder neuronalen Verbindungen im Säugetier-Kortex größtenteils vorhergesagt werden kann.

Um diese Ergebnisse zu erreichen, machte sich ein Team des Blue Brain Project daran, einen kortikalen Mikroschaltkreis basierend auf beispiellosen Daten über die geometrischen und elektrischen Eigenschaften von Neuronen zu rekonstruieren. Es wurden Daten aus 20 Jahren mühevoller Experimentierarbeit an Schnitten von lebendem Gehirngewebe verwendet. Jedes Neuron in dem Schaltkreis wurde von einem leistungsfähigen Blue Gene Supercomputer in einem 3D-Modell nachgestaltet. Etwa 10.000 virtuelle Neuronen wurden gemäß der Dichte und dem Verhältnis der morphologischen Typen im entsprechenden lebenden Gewebe zufällig in einem dreidimensionalen Raum verteilt. Die Forscher verglichen dann das Modell mit einem äquivalenten Gehirnschaltkreis eines echten Säugetier-Gehirns.

Ein großer Schritt in Richtung exakter Modelle des Gehirns

Diese Entdeckung erklärt auch, warum das Gehirn Beschädigungen widerstehen kann und spricht dafür, dass sich die Positionen der Synapsen in allen Gehirnen derselben Spezies eher ähneln statt sich zu unterscheiden. „Die Positionierung der Synapsen auf diese Weise ist sehr widerstandsfähig“, sagt Erstautor und Neurowissenschaftler Sean Hill. „Wir konnten Dichte, Position und Ausrichtung variieren und nichts davon veränderte die Verteilung der Positionen der Synapsen.“

Sie entdeckten, dass die Positionen der Synapsen nur widerstandsfähig sind, solange sich die Morphologie jedes Neurons leicht voneinander unterscheidet, was ein weiteres Rätsel des Gehirns erklärt – warum Neuronen nicht alle dieselbe Form besitzen. „Es ist die Vielfalt in der Morphologie der Neuronen, die die Gehirnschaltkreise einer bestimmten Spezies vergleichbar und hochgradig widerstandsfähig macht“, sagt Hill.

Zusammengenommen repräsentiert diese Arbeit einen wichtigen Fortschritt in der Fähigkeit, detaillierte Modelle des Nervensystems zu konstruieren. Die Ergebnisse liefern wichtige Einblicke in die grundlegenden Prinzipien, die die Verschaltung des Nervensystems steuern, und werfen Licht darauf, wie widerstandsfähige Kortikalschaltkreise aus hochgradig verschiedenen Neuronen-Populationen konstruiert werden – ein entscheidender Schritt zum Verständnis, wie das Gehirn funktioniert. Sie unterstreichen auch den Wert des konstruktiven Ansatzes des BBP. „Obwohl die systematische Einbindung von Daten eines umfangreichen Größenbereichs langsam und mühevoll ist, erlaubt sie uns, fundamentale Prinzipien der Struktur und Funktionsweise des Gehirns abzuleiten“, erklärt Hill.

Quelle: http://actu.epfl.ch/news/blue-brain-project-accurately-predicts-connections/

(THK)

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