NASA-Forscher entschlüsselt die Mathematik des Sonnenwinds

Schematische Darstellung der nahen Erdumgebung. Ein stetiger Strom aus solaren Partikeln trifft auf die Magnetosphäre der Erde. (European Space Agency (ESA))
Schematische Darstellung der nahen Erdumgebung. Ein stetiger Strom aus solaren Partikeln trifft auf die Magnetosphäre der Erde. (European Space Agency (ESA))

Viele Fachgebiete wissenschaftlicher Forschung – das irdische Wetter, Meeresströmungen, die Abgabe magnetischer Energie von der Sonne – erfordern die gleichzeitige Ausarbeitung der großräumigen Strukturen eines komplexen Systems und dessen komplizierten Details.

Die genaue Beschreibung solcher Systeme stützt sich auf zahlreiche verschiedene Datenquellen: Sie beginnt mit Beobachtungen des Systems, der Einbeziehung mathematischer Gleichungen für die Annäherung an diese Beobachtungen, der Durchführung von Computersimulationen als Versuch, um die Beobachtungen nachzubilden und dem umgekehrten Durchlaufen all dieser Schritte für die Ergänzung und Verbesserung der Modelle, bis sie mit den Beobachtungen übereinstimmen. Letztendlich helfen die Modelle den Wissenschaftlern zu beschreiben und sogar vorherzusagen, wie das System funktioniert.

Die Sonne zu verstehen und zu wissen, wie die von ihr emittierte Materie und Energie das Sonnensystem beeinflussen, ist entscheidend, weil sie ein dynamisches Weltraumwettersystem erschafft, das menschliche Technologie im Weltraum stören kann, beispielsweise Kommunikations- und GPS-Satelliten.

Die Sonne und ihr stetiger Strom aus solaren Teilchen, der Sonnenwind, können besonders schwer zu modellieren sein, weil die Materie ihre eigenen Magnetfelder trägt, während sie in die äußeren Bereiche des Sonnensystems strömt. Die magnetischen Kräfte fügen zusätzliche Gesetze hinzu, die man einbeziehen muss, wenn man versucht zu bestimmen, was die Bewegungen steuert. In der Tat wurden bis jetzt keine Gleichungen für bestimmte Aspekte des Sonnenwinds erfolgreich abgeleitet, die zu den Beobachtungen der Instrumente im Weltraum passen. Jetzt hat ein Wissenschaftler am Goddard Space Flight Center der NASA in Greenbelt (Maryland) erstmals einen Satz der notwendigen Gleichungen erstellt, veröffentlicht in den Physical Review Letters am 4. Dezember 2012.

„Seit den 1970er Jahren wissen Forscher, dass die Bewegungen des Sonnenwinds oft die Eigenschaften eines Wellentyps besitzen, den man Alfvén-Welle nennt“, sagt Aaron Roberts, ein Weltraumwissenschaftler am Goddard Space Flight Center. „Man stelle sich ein Springseil vor, das an einem Ende geschwungen wird, so dass es Wellen entlang des Seiles schickt. Alfvén-Wellen sind ähnlich, aber das sich bewegende Seil selbst ist eine magnetische Feldlinie.“

Die Alfvén-Wellen neigen in diesem Fall zu einer starken Beständigkeit ihrer Höhe (oder Amplitude, was die gebräuchliche Bezeichnung ist, wenn man über Wellen spricht), aber ihre Richtung ist zufallsbedingt. Man könnte es sich als ein wirbelndes Springseil vorstellen: immer dieselbe Distanz vom Zentrum, aber trotzdem fähig, viele Positionen im Raum einzunehmen. Wissenschaftler betrachten die Wellen auch wie einen „zufälligen Spaziergang auf einer Kugel“. Auch hier ist die Entfernung von einem gegebenen Zentrum immer dieselbe, aber mit einer veränderlichen Position.

Solche metaphorischen Beschreibungen basieren darauf, was Instrumente im Weltraum tatsächlich beobachtet haben, als magnetische Wellen im Sonnenwind sie passierten. Aber es stellt sich heraus, dass die Gleichungen, um diese Art von Bewegungen zu beschreiben, nicht leicht zu finden sind. Die Gleichungen sind notwendig, um wissenschaftliche Modelle des gesamten Systems zu verbessern. „Die Schwierigkeit war herauszufinden, warum die Amplitude so konstant ist“, sagt Roberts. „Aber es war sehr schwierig, Gleichungen zu finden, die alle Eigenschaften des Magnetfeldes einhalten.“

Vergleichbare Wellen werden auch in Licht beobachtet, bekannt als polarisierte Wellen. Aber Magnetfelder unterliegen zusätzlichen Beschränkungen darüber, welche Formen und Ausrichtungen überhaupt möglich sind. Roberts fand einen Weg, um zahlreiche Wellen verschiedener Wellenlängen auf eine Art und Weise zu überlagern, dass sie die Veränderung der Amplitude so gering wie möglich machten.

Zu seiner Überraschung passten die von ihm erstellten Gleichungen genauer zu den Beobachtungen, als er erwartet hatte. Die Gleichungen zeigten nicht nur Wellen mit konstanter Amplitude, sondern auch gelegentliche Sprünge und Formveränderungen – ein ungeklärtes Merkmal, das in den Beobachtungen selbst registriert wurde.

„Die Überlagerung der Wellen auf diese Weise gibt uns eine Möglichkeit, Gleichungen niederzuschreiben, die wir vorher nicht hatten“, sagt Roberts. „Sie hat auch das schöne Ergebnis zur Folge, dass es realistischer ist als erwartet, weil sie Unterbrechungen zeigt, die wir in dem Wind wirklich sehen. Das ist wichtig für Simulationen und Modelle, in denen wir mit Anfangsbedingungen starten wollen, die so nah wie möglich an dem beobachteten Sonnenwind liegen.“

Eine Gleichung zu haben sagt uns natürlich noch nicht den Grund dafür, warum die Wellen des Sonnenwinds so geformt sind. Gleichungen, die beschreiben, wie sich die Wellen bewegen, öffnen dennoch eine Tür zu exakteren Simulationen, die bei der Erklärung der Ursachen sehr hilfreich sein könnten. Durch die abwechselnde Verbesserung der Modelle und der Beobachtungen fahren Wissenschaftler mit der kreisförmigen Natur dieser Forschung fort, bis eines Tages klar wird, welcher physikalische Prozess der Sonne diese merkwürdig gestalteten Alfvén-Wellen erzeugt.

Quelle: http://www.nasa.gov/mission_pages/sunearth/news/math-solarwind.html

(THK)

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