Viele Raumsonden schwinden einfach dahin und driften lautlos durch den Weltraum, wenn ihre Mission beendet ist, aber nicht GRAIL. Die GRAIL (Gravity Recovery and Interior Laboratory) Zwillingssonden der NASA traten in Glanz und Gloria ab, als sie am 17. Dezember 2012 absichtlich gegen einen Berg in der Nähe des lunaren Nordpols prallten.
Die erfolgreiche Mission zur Untersuchung des Mondinneren unternahm den Absturz für ein letztes bisschen Wissenschaft: Weil jeder Einschlag eine Wolke aus Staub und Gas aufwirbelte, hofften die Forscher mehr über die Zusammensetzung des Mondes zu erfahren. Da der Mond etwa 380.000 Kilometer von der Erde entfernt ist, wären die Staubfahnen des Einschlags von hier aus allerdings schwierig zu beobachten. Glücklicherweise hatte GRAIL Begleitung: Der Lunar Reconnaissance Orbiter (LRO) der NASA umkreist ebenfalls den Mond und erstellt hochauflösende Karten der Mondoberfläche.
Das LRO-Team hatte nur drei Wochen Zeit, um den LRO zur richtigen Zeit an die richtige Position zu bringen, damit er Zeuge des explosiven Finales der GRAIL-Mission werden konnte. „Wir wurden von dem GRAIL-Team etwa drei Wochen vor dem Einschlag darüber informiert, wo genau er stattfinden würde“, sagte LRO-Projektwissenschaftler John Keller vom Goddard Space Flight Center der NASA in Greenbelt (Maryland). „Das Ziel des GRAIL-Teams war es, aus den letzten paar Umkreisungen der GRAIL-Sonden die möglichst hochauflösenden Gravitationsmessungen zu erhalten, was noch relativ spät zu Unsicherheiten über die endgültige Einschlagstelle führte.“
Der LRO befindet sich in einer niedrigen Umlaufbahn und war zum Zeitpunkt des Einschlags nur rund 160 Kilometer von der Mondoberfläche entfernt. Gravitationsveränderungen durch massereiche Strukturen wie Mondberge zerrten an der Raumsonde und veränderten ihre Umlaufbahn. „Ein paar Tage vor dem GRAIL-Einschlag hatten wir ein Station-Keeping-Manöver zur Erhaltung der Umlaufbahn geplant – eine regelmäßige Veränderung der Umlaufbahn, um zu verhindern, dass der LRO auf die Mondoberfläche stürzt“, sagte Keller. „Ich fragte die Flugdynamik-Experten hier am Goddard Space Flight Center, ob sie das Station-Keeping-Manöver mit einem Phasing-Manöver kombinieren könnten. Letzteres bedeutet das Zünden der Triebwerke, um die Sonde leicht zu beschleunigen oder abzubremsen, so dass sie zur richtigen Zeit am richtigen Ort ist, um den Einschlag zu beobachten. Sie sagten, es hätte nicht wirklich funktioniert; wir mussten ein weiteres Station-Keeping-Manöver als Ausgleich durchführen.
Davon ausgehend waren wir gegen die Beobachtung dieses Einschlags, weil wir einen anderen Einschlag auf dem Mond sehen wollten: das Ende der erfolgreichen Herschel-Mission der European Space Agency (ESA). Dieser Einschlag hätte eine deutlich größere Staubfahne verursacht, weil Herschel viel massereicher als GRAIL ist. Die ESA entschied sich jedoch gegen die Kollision, also nahmen wir den Einschlag, den wir hatten.“
Video-Link: https://youtu.be/rQfZe6_bDxc
Dieses Video zeichnet den Kurs der beiden GRAIL-Sonden bis zum Einschlag nach und veranschaulicht auch die Flugbahn des LRO, damit er das Ereignis beobachten konnte. (NASA / GSFC / Ernest Wright / Dan Gallagher)
„Bis zu dem Zeitpunkt hatten wir etwa eine Woche verloren und jedes Mal, wenn wir die Triebwerke des LRO zünden, verlangt die Sicherheit der Mission, dass wir die Kommunikationsabsicherung mit dem Deep Space Network (DSN) der NASA planen“, sagte Keller. Weil sich so viele Raumsonden auf das Deep Space Network stützen, ist es nicht leicht, mit so wenig Vorlaufzeit zu planen. „Aber wir hatten bereits das Station-Keeping-Manöver geplant, deswegen hatten wir die DSN-Absicherung schon festgelegt. Wir verschoben das Station-Keeping-Manöver bis zum 29. April und das Flugdynamik-Team machte aus dem Station-Keeping-Manöver ein Phasing-Manöver, so dass wir den Einschlag beobachten konnten.“
Die Stelle lag zum Zeitpunkt des Einschlags im Schatten, daher musste das LRO-Team warten, bis die Staubfahnen hoch genug bis in das Sonnenlicht aufstiegen, um die Beobachtung durchzuführen. Das Lyman Alpha Mapping Project (LAMP), ein Spektrograf für den Ultraviolettbereich an Bord der Sonde, registrierte Quecksilber und Anreicherungen atomaren Wasserstoffs in der Staubfahne. „Die Registrierung von Quecksilber stimmt mit dem überein, was das LRO-Team beim LCROSS-Einschlag im Oktober 2009 gesehen hatte“, sagte Keller. „LCROSS (Lunar CRater Observation and Sensing Satellite) erkannte große Mengen Quecksilber, aber die Absturzstelle von LCROSS lag am Boden des Cabeus-Kraters auf dem Mond, der seit mehr als einer Milliarde Jahren kein Sonnenlicht mehr gesehen hat und deswegen extrem kalt ist.“
Quecksilber ist eine flüchtige oder leicht verdampfende Substanz. Wissenschaftler vermuten, dass sie sich in kalten, permanent im Schatten liegenden Kratern wie dem Zielkrater des LCROSS-Einschlags ansammeln könnte, aber es war eine Überraschung zu sehen, dass sie auch in einem Gebiet vorhanden ist, das regelmäßig Sonnenlicht bekommt. „Das Thema bei dem GRAIL-Einschlag war nicht so sehr, dass Quecksilber gefunden wurde – man würde erwarten, dass es als ein Element aus der Entstehung des Mondes vorhanden ist, genau wie es auf der Erde vorkommt“, sagte Keller. „Es ist vielmehr noch immer recht stark in der Nähe der Oberfläche konzentriert, anstatt in diesem Gebiet erodiert worden zu sein. Die Oberfläche in diesem Gebiet ist seit sehr langer Zeit der Weltraumumgebung ausgesetzt, darunter Hitze von der Sonne, Einschläge von mikroskopischen Meteoriten und Strahlung.“
„Diese neuen Ergebnisse helfen uns, die Natur der flüchtigen Substanzen nahe der lunaren Pole besser zu verstehen“, sagte Kurt Retherford, leitender Wissenschaftler für das LAMP am Southwest Research Institute in San Antonio (Texas). „In den letzten vier Jahren haben wir angefangen zu verstehen, dass die Wassereismenge nahe den Polarregionen höher ist als bisher gedacht. Neben direkten Messungen des Wassers aus der Staubfahne des LCROSS-Einschlags wurden in den kalten Gebieten des Cabeus-Kraters verschiedene andere flüchtige Substanzen registriert, unter anderem Quecksilber-Atome und Wasserstoff-Moleküle. Obwohl unsere Resultate noch sehr neu sind, denken wir, dass das von LAMP an der GRAIL-Einschlagstelle registrierte Quecksilber mit einer Anreicherung an den Polen in Zusammenhang stehen könnte. Die Anreicherung geschieht durch Quecksilber-Atome, die sich über die Oberfläche bewegen und letztendlich in Richtung der kälteren Polarregionen wandern. Der Nachweis von Wasserstoff-Atomen in den Staubfahnen des GRAIL-Einschlags im Vergleich zu den Wasserstoff-Molekülen in den LCROSS-Staubfahnen könnte uns vielleicht mehr über den Wasserstoff und/oder das Wasser in der Nähe der Pole sagen, aber diese Arbeit ist noch im Gange.“
„Dies gibt Einblicke darin, wie flüchtige Substanzen um den Mond transportiert werden“, ergänzte Keller. „Es liefert uns einen Datenpunkt, der uns hilft, die Modelle über den Transport von flüchtigen Substanzen einzugrenzen, insbesondere bei Modellen, die beschreiben, wie flüchtige Substanzen von warmen zu kalten Gebieten auf dem Mond transportiert werden können.“
Die Lunar Reconnaissance Orbiter Camera (LROC) an Bord des LRO war imstande, ein Bild der beiden GRAIL-Einschlagkrater zu machen, obwohl sie eine relativ geringe Größe haben.
„Die beiden Raumsonden waren verhältnismäßig klein: Würfel von der Größe einer Waschmaschine, die zum Zeitpunkt des Einschlags jeweils eine Masse von etwa 200 Kilogramm hatten“, sagte Mark Robinson, der leitende LROC-Wissenschaftler von der School of Earth and Space Sciences der Arizona State University in Tempe (Arizona). „Als sie gestartet wurden, betrug die Masse jeder Sonde etwas mehr als 300 Kilogramm, aber jede verbrauchte während ihrer Mission gut 100 Kilogramm Treibstoff.
Die Raumsonden bewegten sich mit 6.070 Kilometern pro Stunde, als sie auf die Oberfläche prallten. Beide Krater sind relativ klein, vielleicht vier bis sechs Meter im Durchmesser und beide zeigen schwache, dunkle Auswurfmuster, was ungewöhnlich ist. Frische Einschlagkrater auf dem Mond sind normalerweise hell, aber diese Krater könnten dunkel sein aufgrund der Bestandteile der Sonden, die sich mit dem Auswurfmaterial vermischten.“
„Beide Einschlagstellen liegen am südlichen Hang eines unbenannten Bergmassivs, das sich südlich des Kraters Mouchez und nordöstlich des Kraters Philolaus befindet“, fügte Robinson hinzu. „Das Bergmassiv erhebt sich rund 2.500 Meter über die umgebenden Ebenen. Die Einschlagorte liegen etwa 700 Meter und 1.000 Meter hoch und die beiden Krater sind ungefähr 2.200 Meter voneinander entfernt. GRAIL B (‚Flow‘ genannt) schlug rund 30 Sekunden später nordwestlich von GRAIL A (‚Ebb‘) ein.“
„Das LRO-Team leistete mit viel Hilfe des GRAIL-Navigationsteams eine ausgezeichnete Arbeit bei dem Timing der Passage des LRO nahe der Einschlagstelle in Übereinstimmung mit den Einschlägen und den benötigten Verzögerungen, damit die Staubfahnen in das Sonnenlicht aufsteigen konnten“, sagte Retherford. „Unsere beiden Sonden-Teams kommunizierten gut miteinander, was entscheidend dafür war, dass diese koordinierte Beobachtung ein Erfolg wurde.“
Der LRO vervollständigte die GRAIL-Mission auch auf andere Weisen. Das Diviner Lunar Radiometer an Bord des LRO beobachtete die Einschlagstelle und bestätigte, dass die Wärmeentwicklung an der Oberfläche durch die relativ kleinen GRAIL-Sonden innerhalb der Erwartungen lag. Das Lunar Orbiter Laser Altimeter (LOLA) Instrument schickte Laserimpulse auf die Oberfläche und erstellte anhand der reflektierten Signale eine präzise Karte der Umgebung, darunter auch die dreidimensionalen Strukturen von Bergen und Kratern.
„Die Kombination der von LOLA erstellten topografischen Karte mit der Gravitationskarte von GRAIL ergibt einige sehr interessante Resultate“, sagte Keller. „Man erwartet, dass Gebiete mit Bergen eine etwas stärkere Gravitation haben werden, wohingegen Strukturen wie Krater eine leicht geringere Anziehungskraft aufweisen werden. Wenn man die Topografie jedoch herausrechnet, erhält man eine andere Karte, welche offenbart, dass die Gravitationsunterschiede nicht an die Oberfläche gebunden sind. Das gibt Einblicke in Strukturen tiefer im Inneren des Mondes.“
Die Forschungsarbeit wurde von der LRO-Mission finanziert, die derzeit unter Aufsicht des Science Mission Directorate am NASA-Hauptquartier in Washington steht. Der LRO wird vom Goddard Space Flight Center der NASA in Greenbelt (Maryland) betrieben.
Quelle: http://www.nasa.gov/mission_pages/LRO/news/grail-results.html
(THK)
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