Der Jupitermond Io ist die vulkanisch aktivste Welt des Sonnensystems und besitzt hunderte Vulkane, von denen einige bis zu 400 Kilometer hohe Lavafontänen ausstoßen. Ausgehend von Modellen, welche die Aufheizung des Mondinneren vorhersagen, befinden sich die Konzentrationen vulkanischer Aktivität an völlig anderen Orten, als man erwartet hatte. Zu diesem Ergebnis gelangt eine Studie von Wissenschaftlern der NASA und der European Space Agency (ESA).
Io ist gefangen in einem Tauziehen zwischen der starken Gravitationskraft Jupiters und der geringeren aber zeitlich präzise abgepassten Anziehungskräfte zweier benachbarter Monde, die Jupiter in größeren Abständen umreisen – Europa und Ganymed. Io umkreist Jupiter schneller als diese Monde und vervollständigt zwei Umkreisungen, während Europa eine komplettiert. Für jede Umkreisung Ganymeds macht Io vier. Dieses regelmäßige Timing bedeutet, dass Io die stärkste gravitative Anziehung der Nachbarmonde in derselben Orbitalstellung erfährt, was Ios Umlaufbahn in eine ovale Form zwingt. Das wiederum hat zur Folge, dass Io durchgeknetet wird, während der Mond Jupiter umkreist.
Wenn Io sich Jupiter beispielsweise annähert, deformiert die starke Gravitationskraft des Riesenplaneten den Mond in seine Richtung und wenn Io sich wieder entfernt, nimmt die Anziehungskraft ab und der Mond entspannt sich. Das gravitationsbedingte Durchkneten erzeugt Gezeitenwärme: Ähnlich wie man eine Stelle eines Drahtkleiderbügels erwärmen kann, indem man ihn wiederholt biegt, erzeugt das Durchkneten Reibung im Inneren von Io. Das produziert die immense Hitze, die den extremen Vulkanismus des Mondes mit Energie versorgt.
Es bleibt die Frage, wie genau diese gezeitenbedingte Aufheizung das Innere des Mondes beeinflusst. Einige Wissenschaftler vermuten, dass sie das tiefe Innere erwärmt, aber die vorherrschende Ansicht ist, dass der Großteil der Erwärmung innerhalb einer relativ schmalen Schicht unter der Kruste auftritt, der sogenannten Asthenosphäre. In der Asthenosphäre verhält sich das Gestein wie Spachtelmasse und deformiert sich langsam unter Einwirkung von Hitze und Druck.
„Unsere Analyse unterstützt die gängige Meinung, wonach der Großteil der Hitze in der Asthenosphäre erzeugt wird, aber wir haben festgestellt, dass die vulkanischen Aktivitäten 30 bis 60 Grad östlich der von uns erwarteten Positionen auftreten“, sagte Christopher Hamilton von der University of Maryland in College Park. Hamilton arbeitet am Goddard Space Flight Center der NASA in Greenbelt (Maryland) und ist leitender Autor einer Studie über diese Forschungsarbeit, die am 1. Januar 2013 in den Earth and Planetary Science Letters veröffentlicht wurde.
Video-Link: https://youtu.be/4T37w801UYA
Diese Bildsequenz zeigt vulkanische Aktivität auf dem Jupitermond Io. (NASA / Johns Hopkins University Applied Physics Laboratory / Southwest Research Institute)
Hamilton und sein Team führten die räumliche Analyse unter Verwendung einer neuen, globalen geologischen Karte von Io durch, die von David Williams (Arizona State University in Tempe) und dessen Kollegen erstellt wurde. Williams verwendete dafür Daten, die von NASA-Sonden gesammelt wurden. Die Karte stellt die bislang umfassendste Bestandsaufnahme der Vulkane auf Io bereit und ermöglicht es daher, vulkanische Strukturen in beispiellosen Einzelheiten zu erforschen. Unter der Voraussetzung, dass sich die Vulkane über den stärksten inneren Hitzequellen befinden, prüfte das Team eine Reihe von Modellen über die innere Struktur Ios, indem es die beobachteten Standorte vulkanischer Aktivität mit den vorausgesagten Mustern der Gezeitenerwärmung verglich.
„Wir führten die erste gründliche statistische Analyse von der Verteilung der Vulkane auf der neuen globalen geologischen Karte Ios durch“, sagte Hamilton. „Wir fanden zwischen den beobachteten und den vorhergesagten Vulkanstandorten einen systematischen Versatz nach Osten, der nicht mit irgendeinem existierenden Modell über die Gezeitenerwärmung fester Körper in Einklang gebracht werden kann.“
Die Möglichkeiten, um den Versatz zu erklären, umfassen eine Rotation Ios, die schneller ist als erwartet, sowie eine innere Struktur, die es Magma erlaubt, große Distanzen von den Hitzequellen bis zu den Orten zurückzulegen, wo sie imstande ist, auf der Oberfläche auszubrechen. In Betracht kommt dem Team zufolge auch eine fehlende Komponente in den existierenden Modellen der Gezeitenerwärmung, beispielsweise flüssige Tiden eines Magma-Ozeans unter der Oberfläche.
Das Magnetometer-Instrument der Galileo-Mission registrierte ein Magnetfeld um Io, was auf die Präsenz eines globalen Magma-Ozeans unter der Oberfläche hindeutet. Während Io Jupiter umkreist, bewegt sich der Mond innerhalb des ausgedehnten Magnetfelds des Planeten. Die Forscher denken, dass dies ein Magnetfeld in Io induzieren könnte, wenn der Mond einen globalen Ozean aus elektrisch leitfähigem Magma besäße.
„Unsere Analyse unterstützt das Szenario eines globalen Magma-Ozeans unter der Oberfläche als eine mögliche Erklärung für den Versatz zwischen den vorhergesagten und den beobachteten Vulkanstandorten auf Io“, sagte Hamilton. „Ios Magma-Ozean wäre allerdings nicht wie die Ozeane auf der Erde. Anstatt einer komplett flüssigen Schicht wäre Ios Magma-Ozean wahrscheinlich mehr wie ein Schwamm mit mindestens 20 Prozent Silikatschmelze innerhalb einer Matrix aus langsam deformierbarem Gestein.“
Die Gezeitenerwärmung wird auch für Ozeane aus flüssigem Wasser verantwortlich gemacht, die wahrscheinlich unter den Eispanzern von Europa und dem Saturnmond Enceladus existieren. Weil flüssiges Wasser eine notwendige Voraussetzung für Leben ist, vermuten manche Wissenschaftler, dass in diesen Ozeanen unter der Oberfläche Leben existieren könnte, falls dort auch eine nutzbare Energiequelle und die Versorgung mit Rohmaterialien gegeben sind. Diese Welten sind viel zu kalt, um flüssiges Wasser auf ihren Oberflächen zu besitzen – deswegen würde ein besseres Verständnis von der Funktionsweise der Gezeitenerwärmung möglicherweise darlegen, wie sie Leben an sonst unbewohnbaren Orten im Universum aufrechterhalten könnte.
„Der unerwartete östliche Versatz der Vulkanstandorte ist ein Anhaltspunkt dafür, dass bei unserem Wissen über Io etwas fehlt“, sagte Hamilton. „In gewisser Weise ist das unser wichtigstes Ergebnis. Unser Verständnis der Produktion von Gezeitenwärme und ihrer Beziehung zum Oberflächenvulkanismus ist unvollständig. Die Interpretation darüber, warum wir den Versatz und andere statistische Muster sehen, ist offen. Aber ich denke, wir haben eine Menge neuer Fragen aufgeworfen und das ist gut.“
Ios Vulkanismus ist so umfangreich, dass die Oberfläche des Mondes etwa einmal in einer Million Jahren erneuert wird – das ist ziemlich schnell, verglichen mit dem Alter des Sonnensystems von 4,5 Milliarden Jahren. Um mehr über Ios Vergangenheit zu erfahren, müssen wir seine innere Struktur besser kennen, weil seine Oberfläche zu jung ist, um seine gesamte Vergangenheit aufzuzeichnen, meinte Hamilton.
Die Forschungsarbeit wurde von der NASA, dem von Oak Ridge Associated Universitys geleiteten NASA Postdoctoral Program und der European Space Agency finanziert.
Quelle: http://www.nasa.gov/topics/solarsystem/features/io-volcanoes-displaced.html
(THK)
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