Die ESA-Sonde Venus Express hat die bislang detailreichsten Aufzeichnungen der Bewegungen in der Venusatmosphäre gemacht und gezeigt, dass die Winde auf dem Planeten während der vergangenen sechs Jahre stetig schneller wurden. Die Venus ist bekannt für die kuriose Superrotation ihrer Atmosphäre, die alle vier Erdtage den Planeten umrundet. Das steht in krassem Gegensatz zu der Rotation des Planeten selbst, also der Länge des Tages, die bei vergleichsweise mühseligen 243 Erdtagen liegt.
Durch Verfolgung der Bewegungen bestimmter Wolkenstrukturen in der Wolkenobergrenze etwa 70 Kilometer oberhalb der Planetenoberfläche über einen Zeitraum von zehn Venusjahren (sechs Erdjahre) waren Wissenschaftler imstande, Muster in den langfristigen globalen Windgeschwindigkeiten zu beobachten. Als die Sonde Venus Express im Jahr 2006 den Planeten erreichte, betrugen die durchschnittlichen Windgeschwindigkeiten an der Wolkenobergrenze zwischen 50° nördlicher und südlicher Breite etwa 300 Kilometer pro Stunde. Die Ergebnisse zweier separater Studien haben enthüllt, dass diese bemerkenswert schnellen Winde sogar noch schneller werden und im Verlauf der Mission auf 400 Kilometer pro Stunde beschleunigten.
„Das ist ein enormer Anstieg der schon bekannt hohen Windgeschwindigkeiten in der Atmosphäre. Eine derart große Veränderung wurde auf der Venus nie zuvor beobachtet und wir verstehen noch nicht, warum sie auftritt“, sagte Igor Khatuntsev vom Space Research Institute in Moskau, der Hauptautor einer von Russland geleiteten Studie, die im Journal Icarus veröffentlicht wird. Dr. Khatuntsevs Team bestimmte die Windgeschwindigkeiten, indem die Wissenschaftler maßen, wie sich die Wolkenstrukturen auf den Einzelbildern bewegt hatten: Über 45.000 Strukturen wurden sorgfältig manuell verfolgt und mehr als 350.000 weitere Strukturen ließ man automatisch mit einem Computerprogramm verfolgen.
In einer ergänzenden Abhandlung nutzte ein von Japan geführtes Team seine eigene automatisierte Wolkenverfolgungsmethode, um die Wolkenbewegungen abzuleiten. Die Ergebnisse des Teams werden im Journal of Geophysical Research veröffentlicht. Neben diesem langfristigen Anstieg der durchschnittlichen Windgeschwindigkeit haben beide Studien allerdings auch regelmäßige Veränderungen offenbart, die mit der lokalen Tageszeit, der Höhe der Sonne über dem Horizont und der Rotationsperiode der Venus zusammenhängen. Eine regelmäßige Veränderung tritt etwa alle 4,8 Tage in der Nähe des Äquators auf und man nimmt an, dass sie mit atmosphärischen Wellen in geringeren Höhen in Beziehung steht.
Aber die Forschung deckte auch einige Kuriositäten auf, die schwieriger zu erklären sind. „Unsere Analyse der Wolkenbewegungen in geringen Höhen in der südlichen Hemisphäre zeigte, dass sich die Geschwindigkeit der Winde im Verlauf der sechsjährigen Beobachtungszeit über einen Zeitraum von 255 Erdtagen (etwas mehr als ein Venusjahr) um 70km/h veränderte“, sagte Toru Kouyama vom Information Technology Research Institute in Ibaraki (Japan).
Video-Link: https://youtu.be/2CoGQGVZLnQ
Ein Tag im Leben der Raumsonde Venus Express. (ESA / MPS / DLR / IDA, M. Pérez-Ayúcar & C. Wilson)
Die beiden Teams sahen auch dramatische Veränderungen in den durchschnittlichen Windgeschwindigkeiten bei aufeinanderfolgenden Orbits der Venus Express um den Planeten. In manchen Fällen variierten die Windgeschwindigkeiten in geringen Höhen so sehr, dass die Wolken eine Reise um den Planeten in 3,9 Tagen komplettierten, während sie zu anderen Zeitpunkten 5,3 Tage benötigten. Wissenschaftler haben derzeit keine Erklärung für diese Veränderungen oder für den langfristigen Anstieg der Windgeschwindigkeiten.
„Obwohl es überzeugende Beweise dafür gibt, dass die durchschnittlichen globalen Windgeschwindigkeiten zugenommen haben, werden weitere Untersuchungen erforderlich sein, um zu erklären, was die verantwortlichen atmosphärischen Zirkulationsmuster antreibt und um die Veränderungen zu erklären, die über kürzere Zeiträume in lokalen Gebieten beobachtet wurden“, sagte Håkan Svedhem, ESA-Projektwissenschaftler der Venus Express Mission.
„Die atmosphärische Superrotation der Venus ist eines der großen ungelösten Rätsel des Sonnensystems. Diese Ergebnisse machen sie noch rätselhafter, während die Venus Express uns weiterhin mit ihren Beobachtungen dieses dynamischen, sich verändernden Planeten überrascht.“
(THK)
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