Für diesen Artikel verschlug es uns in den hohen Norden, wo wir aus wissenschaftlicher Sicht einen besonders bedeutenden Boden betraten: das Zoologische Museum Kiel mit seinen historischen Sammlungen. Das 1881 eröffnete Gebäude wurde von den beiden Berliner Architekten Martin Gropius und Heino Schmieden, sowie dem Zoologen Karl August Möbius entworfen und vermittelt schon von außen einen kleinen Eindruck davon, was für historische, naturwissenschaftliche Schätze in seinem Inneren lagern und ausgestellt werden.
Zur Geschichte des Museums
Das offizielle Gründungsjahr der Sammlung ist 1775 – in jenem Jahr begann der berühmte Linné-Schüler Johann Christian Fabricius (1745 – 1808) an der Universität Kiel zu lehren und strebte den Aufbau einer umfassenden naturwissenschaftlichen Sammlung und eines Museums an. Durch Nachbildungen von wertvollen Exponaten aus dem Kopenhagener Museum, Schenkungen und Gesteinsproben aus Norwegen konnte der aus Dänemark stammende Insektenforscher Fabricius schließlich die Basis für die Kieler Sammlung legen. Nach dessen Tod wurde das Museum erstmals bis weit über die regionalen Grenzen hinaus bekannt, als es die überaus kostbaren Insektensammlungen Fabricius‘ erwarb und den eigenen Sammlungen hinzufügte.
Unter Leitung von Christian Rudolf W. Wiedemann (1770 – 1840) und Wilhelm Friedrich Georg Behn (1808 – 1878) konnten die Sammlungen stetig erweitert werden. Das Museum erwarb nach Wiedemanns Tod dessen wertvolle Mollusken- (Weichtier-) und Korallensammlung. Behn nahm ab 1845 an der Expedition der dänischen Korvette Galathea teil, die zwei Jahre für die Weltumseglung benötigte. Die Expedition brachte 93 Kisten mit botanischen, geologischen und zoologischen Proben zurück, was eine umfangreiche Ergänzung der Kieler Sammlung darstellte.
Besonders prägend als Leiter der Einrichtung waren der Zoologe Karl August Möbius (1825 – 1908) und der Meeresbiologe Viktor Hensen (1835 – 1924). Vor dem Hintergrund der bahnbrechenden Werke „Die Entstehung der Arten“ (Charles Darwin, 1859) und „Die geografische Verbreitung der Tiere“ (Alfred Russel Wallace, 1876) änderte sich auch die wissenschaftliche Betrachtungsweise. Möbius entwickelte ein neues Konzept für das Museum, das die evolutionären und tiergeografischen Gesichtspunkte in den Vordergrund stellte, jedoch die taxonomische Systematik als grundlegenden Rahmen beibehielt. Seine Forschungsthemen umfassten die Fauna aus Nord- und Ostsee, wobei er einen Schwerpunkt auf Austernkolonien setzte. Erwähnenswert ist hierbei der von Möbius eingeführte Begriff „Biozönose“ – der heute gebräuchliche wissenschaftliche Fachbegriff für eine Gemeinschaft aus Organismen verschiedener Arten.
Ein anderer häufig verwendeter Fachbegriff, den praktisch jeder schon einmal gehört hat, geht auf Viktor Hensen zurück. Der studierte Mediziner widmete sich in seinen späteren Jahren meeresbiologischen Themen, insbesondere beschäftigte er sich mit den winzigen Kleinstlebewesen, die dank Hensen heute als Plankton bezeichnet werden. Er leitete unter anderem die „Plankton-Expedition“ der Humboldt-Stiftung von 1888/1889, deren Ergebnisse noch heute große Bedeutung in der Meeresbiologie haben.
Die nachfolgenden Museumsleiter Karl Brandt (1854 – 1931), Freiherr Wolfgang von Buddenbrock (1884 – 1964) und Adolf Remane (1898 – 1976) ergänzten die Sammlungen mit zahlreichen neue Erkenntnissen über verschiedenste Tierstämme – von Mollusken bis hin zu Arthropoden (Gliederfüßern), zu denen auch die Insekten gehören. Reinhart Schuster, Ernst Kullmann und Peter Ohm führten das Museum in den Nachkriegsjahren bis 1988 und konnten einige Umbauten der Ausstellungsräume in die Wege leiten. Seit 1988 ist Dr. Wolfgang Dreyer der Direktor des Museums. Er setzt sich intensiv mit entomologischen Fachgebieten auseinander, beispielsweise mit dem Leben pflanzenfressender Insekten oder der Partnerfindung bei Libellen. Unter Federführung Dreyers wurden weitgehende Renovierungen vorgenommen und neue Konzepte für die Dauerausstellungen des Hauses entwickelt.
Über die Ausstellungen
Das Zoologische Museum Kiel zeigt mehrere Dauerausstellungen zu unterschiedlichen Themen. Unter dem Titel „Where Biology takes Form“ wird die ereignisreiche Geschichte des Museums aufbereitet, die oben bereits kurz umrissen wurde. Die Texte der Schautafeln neben den vielen Exponaten sind einerseits leicht verständlich geschrieben, andererseits sprechen sie durchaus auch fachkundiges Publikum an – so ein Spagat zwischen Verständlichkeit und naturwissenschaftlichem Anspruch ist nicht immer einfach, aber in diesem Fall sehr gut gelungen.
Das gilt auch für die anderen Ausstellungen, zum Beispiel die Sammlung hervorragend präparierter europäischer Vögel. Sie enthält ungefähr 300 Exemplare, die allesamt mit ihren wichtigsten Eigenschaften und Erkennungsmerkmalen beschrieben werden. Oder für die Schaukästen zur Ökologie und Artenvielfalt der Schmetterlinge, die in diesem Stadium ihres Lebens sicherlich zu den prachtvollsten Insekten zählen und den interessierten Besucher auch scheinbar genau davon überzeugen wollen.
Die Ausstellung über maritime Expeditionen vermittelt dem Besucher detailreiche Einblicke in mehrere Expeditionsfahrten, an denen das Zoologische Museum beteiligt war. Neben der bereits erwähnten Galathea-Expedition und der Plankton-Expedition werden noch weitere wichtige Forschungsfahrten beschrieben, darunter die erste deutsche Tiefsee-Expedition an Bord der Valdivia (1898/1899) und die erste deutsche Südpolar-Expedition mit dem Forschungsschiff Gauß (1901-1903). Zu den hier gezeigten Exponaten gehören etwa Schriftstücke und ungeöffnete Originalproben.
Aufgrund seiner Geschichte und Bedeutung hinsichtlich maritimer Forschung ist es naheliegend, dass das Zoologische Museum einen Fokus auf Ausstellungen mit meeresbiologischen Themen gesetzt hat. In Zusammenarbeit mit dem Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung in Kiel und verschiedenen anderen Instituten entstand mit „Ozean der Zukunft“ ein Konzept, das sich brennenden aktuellen Sachfragen widmet: Die Auswirkungen von wachsenden Problemen wie Überfischung, Versauerung der Meere und der Anstieg des Meeresspiegels werden detailliert und anschaulich dargestellt – teilweise sogar plastisch und dreidimensional. Ebenso werden hier mögliche Lösungsansätze präsentiert und erklärt.
Die Tiefsee-Ausstellung entführt den Besucher in eine geheimnisvolle Welt, in eine dunkle Welt voller Kreaturen, die auf den ersten Blick gleichermaßen faszinierend und furchterregend wirken. Das Leben dort unten, einige Kilometer unter der Wasseroberfläche, ist erstaunlich vielfältig. Besonders eindrucksvoll und fast schon lebendig erscheint das fünf Meter lange Exemplar eines Riesenkalmars (Architeuthis dux). Viele Legenden ranken sich um diese Tiere, von denen man annimmt, dass sie auch noch wesentlich größer werden können, was durch Kampfspuren auf den Körpern von Pottwalen belegt wird.
Ein Blick in das Auge dieses Exemplars reicht aus, um sich vorzustellen, dass in den Legenden vielleicht ein Fünkchen Wahrheit steckt und sie nicht nur Seemannsgarn sind. Ein anderes Highlight ist kleiner als der Riesenkalmar – sehr viel kleiner, aber nicht weniger interessant: ein sogenannter „Knochenfresserwurm“ der Gattung Osedax. Der martialisch klingende Spitzname hat einen realen Hintergrund. Der nur wenige Zentimeter lange Wurm ernährt sich von den Knochen herabgesunkener Walkadaver und hinterlässt charakteristische Bohrlöcher in ihnen.
In dem Museum sind passenderweise auch die präparierten Skelette einiger Walarten zu sehen. Mit zwölf Skeletten handelt es sich um die artenreichste Sammlung von Walskeletten in Deutschland. Ein schwergewichtiger Höhepunkt wiegt über eine Tonne und hängt unter der Decke der riesigen Museumshalle: ein 14 Meter langes Skelett eines Pottwals. Das andere Schwergewicht, ein 13 Meter langes Skelett eines weiblichen Blauwals, wurde direkt unter dem Pottwalskelett aufgestellt. Zusammen bieten sie einen wirklich imposanten Anblick und zeigen, wie mächtig die größten Meeressäuger werden können – ausgewachsene Blauwale erreichen sogar eine Körperlänge von mehr als 30 Metern. Abgerundet wird die Sammlung durch kleinere Exponate und Schautafeln über die Evolution der Wale.
Abschließend kann man sagen, dass die Ausstellungen dem ausgezeichneten Ruf des Museums gerecht werden und dem Zuschauer auf eine leicht verständliche und dennoch anspruchsvolle Weise deutlich machen, auf welch historischem Boden er steht, wenn er die Exponate betrachtet.
An dieser Stelle möchten wir uns recht herzlich bei dem Museumsleiter Dr. Wolfgang Dreyer bedanken, der uns ganz spontan eine kurze persönliche Einführung in die Geschichte des Museums und dessen Highlights gegeben hat.
– Die Redaktion von astropage.eu
(THK)
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