Zeitreisen: Theoretisch können Quantendaten aus der Vergangenheit kopiert werden

Künstlerische Darstellung des Satelliten Gravity Probe B in der Erdumlaufbahn. Die Raumzeit ist in der Nähe des Planeten nicht flach, sondern gekrümmt. Manche Modelle zur mathematischen Beschreibung der Raumzeit lassen Spielraum für Interpretationen über die Möglichkeit von Zeitreisen. (NASA)
Künstlerische Darstellung des Satelliten Gravity Probe B in der Erdumlaufbahn. Die Raumzeit ist in der Nähe des Planeten nicht flach, sondern gekrümmt. Manche Modelle zur mathematischen Beschreibung der Raumzeit lassen Spielraum für Interpretationen über die Möglichkeit von Zeitreisen. (NASA)

Beliebte Fernsehserien wie „Doctor Who“ haben die Theorie der Zeitreisen in die Umgangssprache der Populärkultur einfließen lassen. Aber das Problem der Zeitreisen ist sogar noch komplizierter, als man gemeinhin denkt. Mark Wilde von der Louisiana State University (LSU) in Baton Rouge hat gezeigt, dass es Zeitreisenden theoretisch möglich sein würde, Quantendaten aus der Vergangenheit zu kopieren.

Alles begann, als David Deutsch (ein Pionier für Quantencomputer und Physiker an der University of Oxford) ein vereinfachtes Modell für Zeitreisen erdachte, um sich mit den Paradoxa zu beschäftigen, die auftreten würden, wenn man in der Zeit zurückreisen könnte. Wäre es beispielsweise möglich, zurück in die Vergangenheit zu reisen und seinen eigenen Großvater zu töten? Bei dem Großvater-Paradoxon begegnet ein Zeitreisender dem Problem, dass er selbst niemals geboren werden würde, wenn er seinen Großvater in der Vergangenheit tötet. Dann wäre er infolgedessen natürlich nicht in der Lage, durch die Zeit zu reisen und seinen Großvater zu töten und so weiter und so fort. Einige Theoretiker haben dieses Paradoxon verwendet, um zu argumentieren, dass es in Wirklichkeit unmöglich ist, die Vergangenheit zu verändern.

„Die Frage ist, wie hätte man am Anfang existiert, um in der Zeit zurückzugehen und den eigenen Großvater zu töten?“, sagte Mark Wilde, ein Assistenzprofessor an der Louisiana State University in Baton Rouge. Wilde hat außerdem eine Stelle am am Department of Physics and Astronomy und am Center for Computation and Technology (CTT) inne. Deutsch löste das Großvater-Paradoxon ursprünglich, indem er eine leichte Abwandlung der Quantentheorie benutzte. Sie besagte, dass man die Vergangenheit verändern kann, solange man es auf eine mit sich selbst übereinstimmenden Weise tut. (Anm. d. Red.: siehe auch Nowikow-Selbstübereinstimmungsprinzip)

„Das bedeutet, wenn man seinen Großvater tötet, dann tut man es nur mit einer 50-prozentigen Wahrscheinlichkeit“, sagte Wilde. „Dann ist er mit einer Wahrscheinlichkeit von 50 Prozent tot und man wird mit einer 50-prozentigen Wahrscheinlichkeit nicht geboren, aber das Gegenteil ist eine reelle Wahrscheinlichkeit. Man hätte mit der Wahrscheinlichkeit von 50 Prozent existieren können, um zurückzureisen und seinen Großvater zu töten.“

Aber das Großvater-Paradoxon ist nicht das einzige Problem bei Zeitreisen. Ein anderes Problem ist das sogenannte No-Cloning-Theorem oder auch „Kein-subatomarer-Kopierer“-Theorem, das seit 1982 bekannt ist. Dieses Theorem steht in Zusammenhang mit der Tatsache, dass man keine Quantendaten nach Belieben kopieren kann. Es ist eine Folge von Heisenbergs berühmter Unschärferelation, laut der man entweder die Position oder den Impuls eines Teilchens messen kann – aber nicht beides gleichzeitig mit unbegrenzter Genauigkeit. Der Unschärferelation zufolge ist es daher unmöglich, einen „subatomaren Kopierer“ zu konstruieren, der ein Teilchen nehmen und zwei Teilchen mit derselben Position und demselben Impuls wieder ausspucken würde. In dem Fall würde man zu viel über die beiden Teilchen gleichzeitig wissen.

„Wir können immer ein Blatt Papier betrachten und dann die daraufstehenden Wörter kopieren. Das bezeichnen wir als das Kopieren klassischer Daten“, sagte Wilde. „Aber man kann nicht willkürlich Quantendaten kopieren, solange sie nicht die spezielle Form von klassischen Daten annehmen. Dieses No-Cloning-Theorem ist ein fundamentaler Bestandteil der Quantenmechanik – es hilft uns zu ergründen, wie man Quantendaten verarbeiten muss. Wenn man keine Daten kopieren kann, muss man auf eine andere Art und Weise über all das nachdenken.“

Aber was wäre, wenn eine geschlossene Weltlinie (closed timelike curve, CTC) nach dem Modell von Deutsch das Kopieren von Quantendaten an viele verschiedene Orte im Raum erlauben würde? Wilde zufolge schlug Deutsch in seiner Arbeit aus dem späten 20. Jahrhundert vor, dass es möglich sein sollte, das grundlegende No-Cloning-Theorem der Quantenmechanik zu verletzen. Jetzt haben Wilde und Kollegen der University of Southern California und der Autonomous University of Barcelona Deutschs Arbeit von 1991 weiterentwickelt. Die Forschungsarbeit (DOI: 10.1103/PhysRevLett.111.190401) wurde in den Physical Review Letters veröffentlicht. Der neue Ansatz erlaubt einem Teilchen oder einem Zeitreisenden, mehrfache Schleifen zurück durch die Zeit zu machen, so ähnlich wie Bruce Willis im Hollywood-Film „Looper“ durch die Zeit reist.

„Das ist so, als würde es an bestimmten Positionen der Raumzeit Wurmlöcher geben, die einen an einem Punkt in der Vergangenheit auftauchen ließen, wenn man hineinspringt“, sagte Wilde. „Nach unserem besten Wissen werden diese Zeitschleifen durch die Gesetze der Physik nicht ausgeschlossen. Aber es hätte seltsame Auswirkungen auf die Verarbeitung von Quanteninformationen, falls ihr Verhalten durch Deutschs Modell bestimmt werden würde.“

Eine einzige Zeitschleifenbahn zurück durch die Zeit, eine Art Zeitspirale, die sich nach Deutschs Modell verhält, würde einem in die Schleife eintretenden Teilchen zum Beispiel erlauben müssen, dasselbe zu bleiben, jedes Mal wenn es einen bestimmten Punkt in der Zeit passiert. Mit anderen Worten: Das Teilchen müsste seine Selbstübereinstimmung aufrechterhalten, während es zurück durch die Zeit reist.

„In einem gewissen Sinn erlaubt dies bereits das Kopieren der Daten des Teilchens an vielen unterschiedlichen Punkten im Raum, weil man das Teilchen viele Male zurückschickt“, sagte Wilde. „Es ist, als hätte man gleichzeitig mehrere Versionen des Teilchens verfügbar. Man kann dann versuchen, weitere Kopien des Teilchens auszulesen, aber die Sache ist folgende: Wenn man das versucht, während das Teilchen durch die Zeit zurückspringt, dann verändert man die Vergangenheit.“

Deutschs Modell besagt, dass man die Vergangenheit nur verändern kann, solange man es auf eine mit sich selbst übereinstimmenden Weise tut. Um sie mit Deutschs Modell in Einklang zu bringen, mussten Wilde und seine Kollegen eine Lösung entwickeln, die eine Zeitschleifenkurve zurück in die Vergangenheit und das Kopieren von Quantendaten eines zeitreisenden Teilchens erlaubt, ohne die Vergangenheit zu stören. „Das war der wichtige Durchbruch. Herauszufinden, was am Anfang dieser Zeitschleife geschehen könnte, um uns in die Lage zu versetzen, viele Kopien der Daten effektiv auszulesen zu können, ohne die Vergangenheit zu stören“, sagte Wilde. „Es funktionierte einfach.“

Es gebe allerdings noch immer Kontroversen über die Interpretationen des neuen Ansatzes, sagte Wilde. Zum Beispiel weist der neue Ansatz möglicherweise tatsächlich auf Probleme in Deutschs ursprünglichem Modell der geschlossenen Weltlinien hin.

„Wenn die Quantenmechanik auf eine Art modifiziert wird, die unseren Beobachtungen zufolge nie auftreten sollte, könnte das ein Anhaltspunkt dafür sein, Deutschs Modell in Frage zu stellen“, sagte Wilde. „Wir glauben wirklich, dass die Quantenmechanik in diesem Punkt richtig ist. Und die meisten Menschen glauben an ein Prinzip, das als Unitarität in der Quantenmechanik bezeichnet wird. Aber mit unserem neuen Modell haben wir gezeigt, dass man im Grunde genommen Etwas verletzen kann, das eine direkte Folge der Unitarität ist. Für mich ist dies ein Beleg dafür, dass in Deutschs Modell etwas Eigenartiges vor sich geht. Es könnte jedoch eine Möglichkeit geben, Deutschs Modell auf eine Weise zu modifizieren, dass wir das No-Cloning-Theorem nicht verletzen.“

Andere Wissenschaftler argumentieren, dass Wildes Ansatz in Wirklichkeit nicht das Kopieren von Quantendaten von einem unbekannten Teilchenzustand erlauben würde, der in die Zeitschleife eintritt. Hier würde die Natur bereits „wissen“, wie das Teilchen aussah, da es viele Male davor zurück durch die Zeit gereist war.

Aber ob das No-Cloning-Theorem in Wirklichkeit verletzt werden kann oder nicht – Wildes neuer Ansatz deutet darauf hin, dass die Folgen davon, Quantendaten aus der Vergangenheit kopieren zu können, bedeutend sind. Systeme für sichere Internetkommunikation werden sich zum Beispiel bald auf Quantensicherheitsprotokolle stützen. Solche Protokolle könnten verletzt oder „gehackt“ werden, falls Wildes Zeitreisemethoden korrekt sind.

„Wenn ein Gegner oder wenn eine boshafte Person Zugang zu diesen Zeitschleifen erlangt hätte, dann könnte er/sie die Sicherheit der Quantenschlüssel-Verteilung brechen“, sagte Wilde. „Das ist eine Möglichkeit, es zu interpretieren. Aber das ist eine sehr dramatische Auswirkung für die Praxis, weil der große Vorteil der Quantenkommunikation ihre sichere Art des Kommunizierens ist. Wir glauben, dass dies die stärkste Form der Verschlüsselung ist, die es gibt, weil sie auf physikalischen Prinzipien basiert.“

Wenn man sich heute in seinen Google-Mail-Account oder in seinen Facebook-Account einloggt, basiert die Verschlüsselung des Passworts und der Informationen nicht auf den physikalischen Prinzipien der quantenmechanischen Sicherheit. Sie basiert etwa auf der berechneten Annahme, dass es für „Hacker“ sehr schwer ist, mathematische Produkte von Primzahlen zu faktorisieren. Aber Physiker und Computerwissenschaftler arbeiten daran, kritische und sensible Kommunikation sicherer zu machen, indem sie die Prinzipien der Quantenmechanik anwenden. Eine derartige Verschlüsselung gilt als unknackbar – das heißt, solange Hacker keinen Zugang zu Wildes geschlossenen Weltlinien haben.

„Diese Fähigkeit, Quanteninformationen willkürlich zu kopieren, würde die Quantentheorie effektiv in eine klassische Theorie verwandeln, in der klassische Daten, welche durch Quantenkryptografie verschlüsselt wurden, nicht länger geschützt wären“, sagte Wilde. „Es scheint so, als sollte man eine erneute Überprüfung von Deutschs Modell vornehmen, die gleichzeitig die zahlreichen Zeitreisen-Paradoxa lösen müsse, aber dabei nicht zu solch dramatischen Konsequenzen für die Verarbeitung von Quanteninformationen führt. Bis jetzt hat allerdings noch niemand ein Modell vorgestellt, das diese zwei Bedingungen erfüllt. Das ist Gegenstand offener Forschungen.“

Quelle: http://sites01.lsu.edu/wp/lsuresearch/2013/12/06/time-warp-lsu-researcher-shows-possibility-of-cloning-quantum-information-from-the-past/

(THK)

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