Mit dem scharfen Blick des Hubble Space Telescope haben Astronomen erstmals die Rotationsgeschwindigkeit einer Galaxie präzise gemessen, basierend auf den regelmäßigen Bewegungen ihrer Sterne. Ihrer Analyse zufolge vollzieht der zentrale Teil einer benachbarten Galaxie – der Großen Magellanschen Wolke (Large Magellanic Cloud, LMC) – alle 250 Millionen Jahre eine komplette Rotation. Zufällig benötigt die Sonne die gleiche Zeitspanne, um eine Umkreisung des Zentrums unserer Milchstraßen-Galaxie zu vollenden.
Das Hubble-Team, bestehend aus Roeland van der Marel vom Space Telescope Science Institute in Baltimore (Maryland) und Nitya Kallivayalil von der University of Virginia in Charlottesville, verwendete Hubble, um die durchschnittliche Bewegung hunderter Einzelsterne in der Großen Magellanschen Wolke zu messen. Die Galaxie liegt etwa 170.000 Lichtjahre entfernt. Hubble zeichnete die geringen Bewegungen der Sterne über einen Zeitraum von sieben Jahren auf.
Scheibengalaxien wie die Milchstraße und die Große Magellansche Wolke rotieren wie ein Karussell. (Anm. d. Red.: Die Scheibenstruktur der Großen Magellanschen Wolke ist nur sehr schwach ausgeprägt, so dass sie als SB(s)m/Irregulär klassifiziert wurde.) Hubbles präzise Verfolgung bietet eine neue Möglichkeit zur Bestimmung der Rotationsgeschwindigkeit einer Galaxie aufgrund der „Seitwärts“-Bewegungen ihrer Sterne, wie sie am Himmel erscheinen. Astronomen vermessen seit längerer Zeit die Seitwärtsbewegungen naher Himmelsobjekte, aber dies ist das erste Mal, dass die Präzision ausreichend gut wurde, um eine andere Galaxie rotieren zu sehen.
Im vergangenen Jahrhundert haben Astronomen die Rotationsgeschwindigkeiten von Galaxien berechnet, indem sie eine geringe Änderung in den Spektren ihrer Sterne beobachteten, den sogenannten Dopplereffekt. Auf einer Seite der rotierenden Galaxienscheibe bewegen sich die Sterne in Richtung Erde und zeigen eine Blauverschiebung in ihren Spektren (die Verschiebung der Lichtwellen in bläulichere Wellenlängen aufgrund der Bewegung in Richtung des Beobachters). Sterne, die sich auf der gegenüberliegenden Seite der Galaxie von der Erde wegbewegen, lassen eine spektrale Rotverschiebung erkennen (die Verschiebung des Lichts in rötlichere Wellenlängen aufgrund der Bewegung von dem Beobachter weg).
Die jüngst von Hubble gemessenen Seitwärtsbewegungen und die zuvor gemessenen Dopplerbewegungen liefern einander ergänzende Informationen über die Rotationsgeschwindigkeit der Großen Magellanschen Wolke. Durch die Kombination der Ergebnisse erhielt das Hubble-Team erstmals eine vollständige 3D-Ansicht der Sternbewegungen in einer anderen Galaxie.
Video-Link: https://youtu.be/ynaLlUcuf2Q
Videoanimation des Rotationsverhaltens der Großen Magellanschen Wolke. (NASA, ESA, and G. Bacon, R. van der Marel, A. Feild, L. Frattare, Z. Levay, and F. Summers (STScI); Acknowlegment: S. Guisard (http://sguisard.astrosurf.com/)
„Die Bestimmung der Rotation einer Galaxie durch Messung ihrer momentanen Vor- und Zurückbewegungen erlaubt nicht, Veränderungen im Laufe der Zeit zu beobachten“, sagte van der Marel. Er ist der leitende Autor einer Studie, die am 1. Februar 2014 im Astrophysical Journal erschien und die Ergebnisse beschreibt und interpretiert. „Mit der Verwendung Hubbles zur Untersuchung der Sternbewegungen über einen Zeitraum von mehreren Jahren können wir tatsächlich erstmals eine Galaxie am Himmel rotieren sehen.“
Kallivayalil, die die Datenanalyse leitete, ergänzte: „Die Untersuchung dieser nahen Galaxie durch die Verfolgung der Sternbewegungen gibt uns ein besseres Verständnis der inneren Struktur von Scheibengalaxien. Die Rotationsgeschwindigkeit einer Galaxie zu kennen, gewährt Einblicke darin, wie eine Galaxie entstand, und das Wissen kann genutzt werden, um ihre Masse zu berechnen.“
Wegen seiner scharfen Auflösung, seiner Bildstabilität und seiner 24 Jahre im Weltraum ist Hubble das einzige Teleskop, das diese Art von Beobachtungen durchführen kann. „Wenn wir uns einen Menschen auf dem Mond vorstellen, dann würde Hubbles Präzision uns erlauben, die Geschwindigkeit zu bestimmen, mit der das Haar der Person wächst“, erklärte van der Marel. (Anm. d. Red.: Der Vergleich ist nur sinnbildlich. Das reale Auflösungsvermögen von Hubble beträgt auf dem Mond etwa 150-200 Meter. Hubble wurde für die Beobachtung deutlich weiter entfernter Objekte entwickelt – Nebel, Galaxien, etc.)
„Diese Präzision ist entscheidend, weil die scheinbaren Sternbewegungen wegen der Entfernung der Galaxie so klein sind“, sagte er. „Man kann sich die Große Magellansche Wolke wie eine Uhr am Himmel vorstellen, auf der die Zeiger 250 Millionen Jahre für eine Umdrehung brauchen. Wir wissen, dass sich die Zeiger auf der Uhr bewegen, aber sogar mit Hubble mussten wir sie mehrere Jahre lang anschauen, um irgendeine Bewegung wahrzunehmen.“
Das Forschungsteam benutzte Hubbles Wide Field Camera 3 und die Advanced Camera for Surveys, um Sterne in 22 Feldern innerhalb der Großen Magellanschen Wolke zu beobachten. Die Galaxie erscheint am südlichen Nachthimmel als ein Objekt mit dem 20-fachen Winkeldurchmesser des Vollmonds. Pfeile auf dem obenstehenden Bild zeigen die vorhergesagten Bewegungen in den nächsten sieben Millionen Jahren, basierend auf den Hubble-Messungen.
Jedes ausgewählte Sternenfeld enthält nicht nur Dutzende Sterne der Großen Magellanschen Wolke, sondern auch einen Quasar im Hintergrund – ein helles Leuchtfeuer, das von einem Schwarzen Loch im Kern einer entfernten aktiven Galaxie versorgt wird. Die Astronomen brauchten die Quasare als fixe Referenzpunkte im Hintergrund, um die extrem kleinen Bewegungen der Sterne in der Großen Magellanschen Wolke zu messen.
Diese Messung ist die Summe der von van der Marel und anderen Teams mit Hubble durchgeführten Arbeiten, um die Rotationsgeschwindigkeit der Großen Magellanschen Wolke genauer zu bestimmen. Van der Marel begann 2002 mit der Analyse der Rotation der Galaxie, indem er detaillierte Vorhersagen über das Rotationsverhalten traf, die jetzt von Hubble bestätigt wurden.
„Die Große Magellansche Wolke ist eine sehr wichtige Galaxie, da sie unserer Milchstraßen-Galaxie sehr nah ist“, sagte er. „Die Milchstraßen-Galaxie zu studieren, ist sehr schwierig, weil all das, was man sieht, über den gesamten Himmel verteilt ist. Alles befindet sich in verschiedenen Entfernungen und man selbst sitzt in der Mitte davon. Die Untersuchung der Struktur und Rotation ist viel einfacher, wenn man eine nahe Galaxie von außen betrachtet.“
„Weil die Große Magellansche Wolke so nahe ist, dient sie als Bezugsgröße für Studien über die stellare Entwicklung und stellare Populationen. Dafür ist es wichtig, die Struktur der Galaxie zu verstehen“, sagte Kallivayalil. „Unsere Methode zur Messung der Rotationsrate der Galaxie mittels vollständig dreidimensionaler Bewegungen ist eine neue Möglichkeit, Licht auf ihre Struktur zu werfen. Sie öffnet ein neues Fenster zu unserem Wissen darüber, wie sich Sterne in Galaxien bewegen.“
Neben ihrer eigenen Rotation umkreist die Große Magellansche Wolke als Ganzes auch die Milchstraßen-Galaxie. In früheren wissenschaftlichen Abhandlungen nutzten das Team und die Mitarbeiter Hubble-Daten, um zu belegen, dass sich die Große Magellansche Wolke schneller um die Milchstraßen-Galaxie bewegt als bislang angenommen. Diese Forschungsarbeit hat unser Wissen darüber verbessert, wie oft sich diese benachbarten Galaxien in der Vergangenheit begegnet sein und miteinander interagiert haben könnten.
Das Team plant als nächstes, mit Hubble und der gleichen Methode die Sternbewegungen in dem kleineren Cousin der Großen Magellanschen Wolke zu messen, der Kleinen Magellanschen Wolke (Small Magellanic Cloud, SMC). Die Galaxien wechselwirken miteinander und diese Studie sollte auch bessere Einblicke in die Bewegungen der Galaxien umeinander und um die Milchstraßen-Galaxie ermöglichen.
Quelle: http://hubblesite.org/newscenter/archive/releases/2014/11/full/
(THK)
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