Das Hubble Space Telescope der NASA hat die Masse des größten bekannten Galaxienhaufens im entfernten Universum gemessen und festgestellt, dass er seinem Spitznamen gerecht wird: El Gordo (Spanisch für „der Dicke“).
Durch präzise Messungen davon, wie die Gravitation des Galaxienhaufens die Bilder von viel weiter entfernten Hintergrundgalaxien verzerrt, hat ein Astronomenteam die Masse des Galaxienhaufens auf etwa drei Millionen Milliarden Sonnenmassen berechnet. Die Hubble-Daten zeigen, dass der Galaxienhaufen rund 43 Prozent massereicher ist als frühere Schätzungen, die auf Röntgendaten und dynamischen Untersuchungen des ungewöhnlichen Galaxienhaufens basieren.
„Es hat uns eine noch höhere Wahrscheinlichkeit geliefert, dass dies tatsächlich ein erstaunliches System im sehr frühen Universum ist“, sagte Teamleiter James Lee von der University of California in Davis. Ein Teil dieser Masse ruht in mehreren hundert Galaxien, die der Galaxienhaufen beherbergt und ein größerer Teil besteht aus heißem Gas, welches das gesamte Volumen des Galaxienhaufens ausfüllt. Der Rest liegt in Form Dunkler Materie vor – einer unsichtbaren Form von Materie, die den Großteil der Masse des Universums ausmacht.
Obwohl ähnlich massereiche Galaxienhaufen im nahen Universum beobachtet werden, beispielsweise der sogenannte Bullet Cluster, wurde bislang nichts Vergleichbares entdeckt, das so früh in der Zeit existiert, als das Universum etwa die Hälfte seines aktuellen Alters von 13,8 Milliarden Jahren hatte. Ausgehend von derzeitigen kosmologischen Modellen vermutet das Team, dass solche Galaxienhaufen im frühen Universum selten sind.
Die enorme Größe von El Gordo wurde erstmals im Januar 2012 erkannt. Astronomen schätzten seine riesige Masse anhand von Beobachtungen des Chandra X-ray Observatory und der Geschwindigkeiten von Galaxien, die mit dem Very Large Telescope der Europäischen Südsternwarte in Paranal (Chile) gemessen wurden. Basierend auf den Bewegungen der Galaxien innerhalb des Galaxienhaufens und der sehr hohen Temperaturen des heißen Gases zwischen den Galaxien waren die Forscher in der Lage, Schätzungen über dessen Masse anzustellen.
Die Forscher bemerkten, dass der Galaxienhaufen (Katalogbezeichnung ACT-CL J0102-4915) aussah, als könnte er das Ergebnis einer gigantischen Kollision zweier Galaxienhaufen sein. Die Wissenschaftler beschreiben es als „zwei Kanonenkugeln zusammenstoßen zu sehen“. „Wir fragten uns, was passiert, wenn man einen Galaxienhaufen inmitten einer großen Verschmelzung erwischt und wie der Verschmelzungsprozess sowohl das im Röntgenbereich leuchtende Gas als auch die Bewegungen der Galaxien beeinflusst“, erklärte John Hughes von der Rutgers University. „Das Fazit lautet also, dass wegen des komplexen Verschmelzungsstadiums einige Fragen über die Verlässlichkeit der von uns durchgeführten Massenschätzungen offen bleiben.“
„Hier kamen die Hubble-Daten ins Spiel“, sagte Felipe Menanteau von der University of Illinois in Urbana-Champaign. „Wenn man bedenkt, wie extrem dieser Galaxienhaufen ist und wie selten seine Existenz im aktuellen kosmologischen Modell ist, brauchten wir dringend eine unabhängige und verlässlichere Massenschätzung. „All die kinetische Energie könnte nicht berücksichtigt worden sein und möglicherweise darauf hinweisen, dass wir die Masse tatsächlich unterschätzt hatten.“ Die Annahme von „unberücksichtigter Energie“ beruht auf der Tatsache, dass die Verschmelzung tangential zur Sichtlinie des Beobachters stattfindet. Das bedeutet, sie übersehen möglicherweise einen großen Teil der kinetischen Energie der Verschmelzung, weil ihre spektroskopischen Messungen nur die Radialgeschwindigkeiten der Galaxien aufzeichnen.
Das Team verwendete Hubble, um zu messen, wie stark die Masse des Galaxienhaufens den Raum krümmt. Hubbles hohe Auflösung erlaubte Messungen des sogenannten „schwachen Gravitationslinseneffekts“, bei dem die immense Gravitation des Galaxienhaufens den Raum geringfügig krümmt wie ein Zerrspiegel und die Bilder von Hintergrundgalaxien verzerrt. Je größer die Krümmung, desto mehr Masse ist in dem Galaxienhaufen enthalten. „Im Grunde genommen habe ich die Formen der Hintergrundgalaxien angeschaut, die weiter entfernt sind als der Galaxienhaufen selbst“, erklärte Lee.
Der nächste Schritt des Teams wird sein, mit Hubble ein großes Bildmosaik des Galaxienhaufens zu erstellen. Er passt nicht in Hubbles Blickfeld. Es ist, als würde man den Kopf und die Schultern eines Riesen von der Seite anschauen, sagten die Forscher. „Wir können sagen, dass es ein recht großer Riese ist, aber wir wissen nicht, was für Beine er hat, deshalb brauchen wir ein größeres Blickfeld, um ein Gesamtbild des Riesen zu bekommen“, sagte Menanteau.
Quelle: http://hubblesite.org/newscenter/archive/releases/2014/22/full/
(THK)
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