Wissenschaftler haben Belege für Plattentektonik auf dem Jupitermond Europa entdeckt. Das stellt das erste Anzeichen für diese Art von oberflächenverschiebender, geologischer Aktivität auf einer anderen Welt als der Erde dar.
Forscher haben deutliche, visuelle Belege dafür, dass die Eiskruste Europas expandiert. Sie konnten allerdings keine Gebiete finden, in denen die alte Kruste zerstört wurde, um Raum für die neue zu schaffen. Bei der Untersuchung von Bildern des NASA-Orbiters Galileo aus den frühen 2000er Jahren entdeckten die Planetengeologen Simon Kattenhorn von der University of Idaho in Moscow und Louise Prockter vom Applied Physics Laboratory der Johns Hopkins University in Laurel (Maryland) einige ungewöhnliche geologische Abgrenzungen.
„Wir standen jahrelang vor dem Rätsel, wie all das neue Gelände entstanden sein konnte, aber wir konnten nicht herausfinden, wie es aufgenommen wurde“, sagte Prockter. „Wir denken, dass wir endlich die Antwort gefunden haben.“ Plattentektonik ist die wissenschaftliche Theorie, nach der die äußere Schicht der Erde aus sich bewegenden Platten oder Blöcken besteht, was für die Entstehung von Bergen und Vulkanen und für das Auftreten von Erdbeben verantwortlich ist.
Die Oberfläche Europas – einem der vier größten Jupitermonde, der etwas größer als der Erdmond ist – ist mit Brüchen und Graten übersät. Die Blöcke haben sich auf dieselbe Weise verschoben, wie sich die Platten auf der Erde aneinander vorbeibewegen, beispielsweise an der San-Andreas-Verwerfung in Kalifornien. Viele Gebiete auf Europas Oberfläche zeigen Anzeichen für eine Ausdehnung, wobei kilometerlange, helle Bänder entstanden, als die Oberfläche auseinandergezogen wurde und frisches, eishaltiges Material aus der darunterliegenden Schicht in die neu entstandene Lücke gepresst wurde. Dieser Prozess ähnelt der Ozeanbodenspreizung auf der Erde.
Auf der Erde bildet sich neues Oberflächenmaterial an mittelozeanischen Rücken. Altes Material wird in Subduktionszonen zerstört – das sind Regionen, in denen zwei tektonische Platten konvergieren und sich überlappen, wobei eine Platte unter die andere gedrückt wird. Trotz der vielen Belege für die Ausdehnung auf Europas Oberfläche waren die Forscher bislang jedoch nicht in der Lage zu bestimmen, wie die Oberfläche all das neue Material aufnehmen konnte.
Wissenschaftler, die Europa untersuchen, rekonstruieren die Oberflächenblöcke des Mondes oft in ihre ursprüngliche Konfiguration – wie bei einem Puzzle -, um ein Bild davon zu bekommen, wie die Oberfläche vor dem Auseinanderbrechen aussah. Als Kattenhorn und Prockter die Eislandschaft auf den Bildern rekonstruierten, entdeckten sie, dass in den hohen nördlichen Breiten des Mondes mehr als 20.000 Quadratkilometer der Oberfläche fehlten.
Weitere Belege ließen darauf schließen, dass sich das fehlende Gelände unter eine zweite Oberflächenplatte geschoben hat. Das ist ein Szenario, das auf der Erde häufig in plattentektonischen Grenzregionen beobachtet wird. Kattenhorn und Prockter sahen Eisvulkane auf der oberen Platte, die möglicherweise durch das Abschmelzen und die Absorption der unteren Platte entstanden, als diese unter die obere geschoben wurde. Sie bemerkten auch einen Mangel an Bergen in der Subduktionszone, was darauf hindeutet, dass das Material in das Innere des Mondes gedrückt wurde und sich nicht auftürmte, als die zwei Platten aufeinander trafen.
Die Forscher vermuten, dass das subduzierte Gebiet von Europas bis zu 30 Kilometer dicken Eiskruste absorbiert wurde und nicht in den darunter liegenden Ozean durchbrach. Auf Europas relativ junger Oberfläche (sie ist durchschnittlich 40-90 Millionen Jahre alt) haben Wissenschaftler Anzeichen dafür beobachtet, dass Material aus der Tiefe aufsteigt, aber bislang wurde kein Mechanismus gefunden, der Material zurück in die Eiskruste führt, möglicherweise bis hinein in den großen Ozean unter dem Eis.
„Europa könnte erdähnlicher sein, als wir uns vorgestellt hatten, wenn er ein globales Plattentektoniksystem besitzt“, sagte Kattenhorn. „Diese Entdeckung macht ihn nicht nur zu einem der geologisch interessantesten Himmelskörper im Sonnensystem, sondern weist auch auf einen Zwei-Wege-Austausch zwischen dem Inneren und der Oberfläche hin. Es ist eine Möglichkeit, Material von der Oberfläche in den Ozean zu befördern – ein Prozess, der entscheidende Auswirkungen auf Europas Potenzial als bewohnbare Welt hat.“
Die Ergebnisse des Teams erschienen in der sonntäglichen Onlineausgabe des Journals Nature Geoscience. Im Juli 2014 kündigte die NASA im Rahmen eines Announcement of Opportunity (AO) an, Vorschläge für wissenschaftliche Instrumente einzuholen, die eine zukünftige Mission nach Europa an Bord haben könnte.
„Europa offenbart sich weiterhin als eine dynamische Welt mit verblüffenden Ähnlichkeiten zu unserem eigenen Planeten Erde“, sagte Curt Niebur, ein Wissenschaftler des Outer Planets Program am NASA-Hauptquartier in Washington. „Die Untersuchung Europas geht grundlegende Fragen über diesen potenziell habitablen Eismond und die Suche nach Leben außerhalb der Erde an.“ Bisherige wissenschaftliche Ergebnisse sprechen für die Existenz eines Ozeans aus flüssigem Wasser unter der Eiskruste des Mondes. Dieser Ozean bedeckt Europa vollständig und enthält mehr flüssiges Wasser als alle Ozeane der Erde zusammen.
Die NASA-Sonde Galileo wurde im Jahr 1989 gestartet und war die einzige Weltraummission, die Europa mehrfach besucht hat: Sie flog ein Dutzend Mal nahe an dem Mond vorbei. Die vielen Premieren Galileos umfassen die Entdeckung von Belegen für die Existenz eines Salzwasserozeans unter der Eiskruste Europas. Die Mission endete offiziell, als Galileo im September 2003 in die Jupiteratmosphäre stürzte, um einen Einschlag auf Europa zu vermeiden. Die Mission wurde vom Jet Propulsion Laboratory (JPL) der NASA in Pasadena (Kalifornien) für das Science Mission Directorate in Washington geleitet.
Quelle: http://www.jpl.nasa.gov/news/news.php?release=2014-300
(THK)
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