Galaxien findet man häufig in Galaxienhaufen mit vielen „roten und toten“ Nachbarn, die schon in der fernen Vergangenheit mit der Produktion neuer Sterne aufgehört haben. Ein internationales Astronomenteam unter Leitung von Andra Stroe vom Leiden Observatory und David Sobral von der Leiden University und der University of Lisbon hat jetzt festgestellt, dass diese komatösen Galaxien manchmal wiederbelebt werden können. Wenn Galaxienhaufen miteinander verschmelzen, kann eine gigantische Schockwelle die Geburt einer neuen Sterngeneration auslösen – die schlafenden Galaxien erhalten eine Auffrischung. Die Wissenschaftler veröffentlichen ihre Arbeit im Journal Monthly Notices of the Royal Astronomical Society.
Galaxienhaufen sind wie Städte, in denen tausende Galaxien zusammenkommen – zumindest im Vergleich zu dem spärlich bewohnten Raum um sie herum. Im Verlauf von Milliarden Jahren bauten sie Struktur im Universum auf: Sie verschmolzen mit benachbarten Galaxienhaufen, so wie wachsende Städte nahe Dörfer absorbieren. Wenn das geschieht, wird bei der Kollision der Galaxienhaufen eine riesige Energiemenge freigesetzt. Die resultierende Schockwelle durchquert den Galaxienhaufen wie ein Tsunami, aber bisher gab es keinen Beleg dafür, dass die Galaxien selbst davon stark betroffen waren.
Stroe und Sobral beobachteten den verschmelzenden Galaxienhaufen CIZA J2242.8+5301 mit dem Spitznamen „Sausage“ („Würstchen“), der etwa 2,3 Milliarden Lichtjahre entfernt in Richtung des Sternbildes Lacerta (Eidechse) am Himmel der nördlichen Hemisphäre liegt. Sie nutzten die Isaac-Newton- und William-Herschel-Teleskope auf La Palma und die Subaru-, CFHT- und Keck-Teleskope auf Hawaii. Dabei stellten sie fest, dass die Galaxien durch die Schockwelle verändert wurden, was eine neue Welle der Sternentstehung auslöste.
„Wir vermuteten, dass die Galaxien für diesen Prozess eher nebensächlich sein würden, aber es stellte sich heraus, dass sie eine tragende Rolle spielen. Die komatösen Galaxien im ‚Sausage‘-Galaxienhaufen werden neu belebt und bilden Sterne mit enormen Raten. Als wir das erstmals in den Daten sahen, konnten wir einfach nicht glauben, was sie uns zeigten“, sagte Stroe.
Die neue Forschungsarbeit spricht dafür, dass die Verschmelzung von Galaxienhaufen bedeutende Auswirkungen auf die Sternentstehung hat. „Ähnlich wie das Rühren mit einem Teelöffel in einer Tasse Kaffee führen die Schockwellen zu Turbulenzen in dem galaktischen Gas. Diese lösen dann einen lawinenähnlichen Kollaps aus, der letztendlich die Bildung sehr dichter, kalter Gaswolken nach sich zieht, welche für die Entstehung neuer Sterne entscheidend sind“, sagte Stroe.
„Aber Sternentstehungsprozesse mit dieser Rate führen zu einer hohen Anzahl massereicher, kurzlebiger Sterne, die ein paar Millionen Jahre später als Supernovae explodieren. Die Explosionen schleudern große Mengen Gas aus den Galaxien heraus und da der Großteil des restlichen Gases zur Sternentstehung verwendet wird, geht den Galaxien bald der Brennstoff aus. Wenn man lange genug wartet, machen die Galaxienhaufenverschmelzungen die Galaxien sogar noch „roter und toter“. Sie fallen wieder ins Koma und haben wenig Aussicht auf eine zweite Wiederauferstehung“, ergänzte Sobral.
Jeder Galaxienhaufen im nahen Universum hat im Verlauf seiner Existenz eine Reihe Verschmelzungen erfahren, deshalb sollten sie alle eine Periode extrem intensiver Sternentstehungsprozesse durchgemacht haben. Im Hinblick darauf, dass die Schockwellen jedoch nur einen (in astronomischen Maßstäben) kurzzeitigen Anstieg der Sternproduktion hervorrufen, müssen die Astronomen sehr viel Glück haben, damit sie den Galaxienhaufen in einer Entwicklungsphase beobachten, in der die Galaxien noch von der Schockwelle „erleuchtet“ werden.
Der nächste Schritt ist es festzustellen, ob der Sausage-Galaxienhaufen einzigartig ist und ob diese Starbursts sehr besondere Voraussetzungen erfordern. Durch die Untersuchung einer viel umfangreicheren Galaxien-Stichprobe hofft das Team herauszufinden, wie genau das geschieht.
Abhandlungen:
„The rise and fall of star formation in z ~ 0.2 merging galaxy clusters“ von A. Stroe et al., Monthly Notices of the Royal Astronomical Society, vol. 450, pp. 646-665, 2015, Preprint auf arxiv.org
„MC2: boosted AGN and star formation activity in CIZA J2242.8+5301, a massive post-merger cluster at z = 0.19“ von D. Sobral et al., Monthly Notices of the Royal Astronomical Society, vol. 450, pp. 630-645, 2015, Preprint auf arxiv.org
Quelle: http://www.ras.org.uk/news-and-press/2619-giant-cosmic-tsunami-wakes-up-comatose-galaxies
(THK)
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