Das Zentrum unserer Milchstraßen-Galaxie ist ein rätselhafter Ort: Er liegt nicht nur tausende Lichtjahre entfernt, sondern er ist auch von so viel Staub umgeben, dass die meisten Sterne dort unsichtbar sind. Harvard-Wissenschaftler schlagen eine neue Möglichkeit vor, um den Nebel zu lichten und Sterne aufzuspüren, die sich dort verbergen. Sie regen an, nach Radiowellen von überschallschnellen Sternen zu suchen.
„Es gibt viel, was wir über das galaktische Zentrum nicht wissen und eine Menge, was wir lernen möchten“, sagte der Hauptautor Idan Ginsburg vom Harvard-Smithsonian Center for Astrophysics (CfA). „Wir denken, dass wir mit dieser Technik Sterne finden können, die niemand zuvor gesehen hat.“
Der lange Weg vom Zentrum unserer Milchstraßen-Galaxie bis zur Erde ist stark mit Staub angereichert, so dass im sichtbaren Wellenlängenbereich nur eines von einer Billion Photonen zu unseren Teleskopen durchdringt. Radiowellen aus einem anderen Bereich des elektromagnetischen Spektrums besitzen geringere Energien und größere Wellenlängen. Sie können den Staub ungehindert passieren.
Die Sterne selbst sind im Radiowellenlängenbereich nicht hell genug, damit wir sie auf so große Entfernungen registrieren können. Wenn sich ein Stern jedoch mit Überschallgeschwindigkeit durch Gas bewegt, verändert sich die Situation. Materie, die als Sternwind von dem Stern emittiert wird, kann auf die interstellaren Gase treffen und eine Schockwelle erzeugen. Bei der sogenannten Synchrotronstrahlung produzieren Elektronen, welche von dieser Schockwelle beschleunigt wurden, Radioemissionen, die wir möglicherweise registrieren könnten. „In gewisser Weise suchen wir nach dem kosmischen Äquivalent eines Überschallknalls von einem Flugzeug“, erklärte Ginsburg.
Um eine Schockwelle zu generieren, müsste sich der Stern mit einer Geschwindigkeit von tausenden Kilometern pro Sekunde bewegen. Das ist im galaktischen Zentrum möglich, weil die Sterne durch die starke Gravitationskraft eines supermassiven Schwarzen Lochs beeinflusst werden. Wenn sich ein umkreisender Stern seiner geringsten Entfernung zu dem Schwarzen Loch nähert, kann er die nötige Geschwindigkeit leicht erreichen.
Die Forscher schlagen vor, bei einem bereits bekannten Stern namens S2 nach diesem Effekt zu suchen. Dieser Stern ist heiß und hell genug, um trotz des Staubs im Infrarotbereich beobachtet zu werden, und er wird Ende 2017 oder Anfang 2018 seine engste Annäherung an das galaktische Zentrum erreichen. Wenn er das tut, können Radioastronomen ihn anvisieren, um nach Radioemissionen seiner Schockwelle zu suchen.
„S2 wird unsere Bewährungsprobe sein. „Wenn er im Radiowellenlängenbereich sichtbar ist, dann können wir diese Methode möglicherweise nutzen, um kleinere und schwächere Sterne zu finden – Sterne, die auf andere Weise nicht sichtbar sind“, sagte der Co-Autor Avi Loeb vom CfA.
Eine Abhandlung von Idan Ginsburg, Xiawei Wang, Avi Loeb und Ofer Cohen beschreibt die Arbeit. Sie wurde zur Veröffentlichung in den Monthly Notices of the Royal Astronomical Society angenommen.
Das Harvard-Smithsonian Center for Astrophysics (CfA) hat seinen Hauptsitz in Cambridge (Massachusetts) und ist ein Gemeinschaftsprojekt des Smithsonian Astrophysical Observatory und des Harvard College Observatory. Wissenschaftler aus sechs Forschungsabteilungen untersuchen hier den Ursprung, die Entwicklung und das endgültige Schicksal des Universums.
Quelle: https://www.cfa.harvard.edu/news/2015-19
(THK)
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