Wie entstand das Universum? Und was war vor dem Urknall? Kosmologen haben sich diese Fragen gestellt, seit sie entdeckten, dass das Universum expandiert. Die Antworten sind nicht leicht zu finden. Der Beginn des Universums ist vor dem Blick unserer leistungsfähigsten Teleskope verborgen. Trotzdem können aktuelle Beobachtungen uns Hinweise auf den Ursprung des Universums geben. Eine neue Forschungsarbeit schlägt eine neue Möglichkeit vor, um den Anbeginn von Raum und Zeit zu untersuchen und festzustellen, welche der konkurrierenden Theorien korrekt ist.
Das gemeinhin am besten akzeptierte theoretische Szenario für den Beginn des Universums ist die Inflation. Es besagt, dass das Universum im Bruchteil der ersten Sekunde exponentiell expandierte. Allerdings wurde eine Reihe alternativer Szenarien vorgeschlagen, von denen einige vor dem Urknall einen Big Crunch voraussagen. Der Trick ist, Messungen zu finden, die zwischen diesen Szenarien unterscheiden können.
Eine vielversprechende Informationsquelle über den Beginn des Universums ist der kosmische Mikrowellenhintergrund (cosmic microwave background, CMB) – das Restleuchten des Urknalls, das den Raum durchzieht. Dieses Leuchten erscheint zunächst glatt und gleichförmig, aber bei näherer Betrachtung variiert es um kleine Beträge. Diese Variationen stammen von Quantenfluktuationen, die bei der Geburt des Universums präsent waren, und die mitgedehnt wurden, als das Universum expandierte.
Der übliche Ansatz, um zwischen verschiedenen Szenarien zu unterscheiden, sucht nach möglichen Spuren von Gravitationswellen, die während des primordialen Universums im kosmischen Mikrowellenhintergrund produziert wurden. „Hier schlagen wir einen neuen Ansatz vor, der uns erlauben könnte, die Entwicklungsgeschichte des primordialen Universums direkt aus astrophysikalischen Signalen abzuleiten. Diese Geschichte ist für jedes Szenario einzigartig“, sagte der Co-Autor Xingang Chen vom Harvard-Smithsonian Center for Astrophysics (CfA) und der University of Texas in Dallas.
Frühere experimentelle und theoretische Studien geben zwar Hinweise auf räumliche Variationen im primordialen Universum, allerdings lassen sie das Schlüsselelement der Zeit außen vor. Ohne eine tickende Uhr, die das Fortschreiten der Zeit misst, kann die Entwicklungsgeschichte des primordialen Universums nicht zweifelsfrei bestimmt werden.
„Angenommen, man legt die Einzelbilder eines Videos zufällig übereinander. Wenn diese Einzelbilder nicht mit einem Zeitstempel versehen sind, kann man sie nicht in die richtige Reihenfolge bringen. Implodierte oder expandierte das primordiale Universum? Wenn man nicht weiß, ob das Video vorwärts oder rückwärts läuft, kann man den Unterschied nicht feststellen“, erklärte Chen.
Diese neue Forschungsarbeit sagt aus, dass solche „Uhren“ existieren und dass sie verwendet werden können, um das Fortschreiten der Zeit bei der Geburt des Universums zu messen. Sie liegen in der Form schwerer Teilchen vor, die ein erwartetes Produkt einer Weltformel („Theory of Everything“) wären, welche die Quantenmechanik und die allgemeine Relativitätstheorie vereinen soll. Sie werden als „primordiale Standarduhren“ bezeichnet.
Subatomare, schwere Teilchen werden sich wie ein Pendel verhalten und in gleicher Weise vor- und zurückschwingen. Das können sie sogar auf quantenmechanischer Ebene tun, ohne vorher angestoßen worden zu sein. Diese Schwingungen würden als das Ticken einer Uhr agieren und den Videoeinzelbildern in unserer Analogie einen Zeitstempel hinzufügen.
„Das Ticken dieser primordialen Standarduhren würde übereinstimmende Schwingungen in den Messungen des kosmischen Mikrowellenhintergrunds hervorrufen, dessen Muster für jedes Szenario einzigartig ist“, sagte der Co-Autor Yi Wang von der Hong Kong University of Science and Technology. Die aktuellen Daten sind allerdings nicht exakt genug, um so geringe Variationen zu entdecken.
Laufende Experimente sollten die Situation deutlich verbessern. Projekte wie BICEP3 und das Keck Array und viele andere Experimente weltweit werden außerordentlich präzise Daten über den kosmischen Mikrowellenhintergrund sammeln, während sie gleichzeitig nach Gravitationswellen suchen. Falls die Schwingungen der primordialen Standarduhren stark genug sind, sollten die Experimente sie binnen der nächsten zehn Jahre finden. Unterstützende Belege kommen aus anderen Forschungsbereichen, beispielsweise Karten der großräumigen Struktur des Universums inklusive Galaxien und kosmischem Wasserstoff.
Und weil die primordialen Standarduhren eine Komponente der „Weltformel“ sein würden, wäre ihre Entdeckung auch ein Beleg für Physik jenseits des Standardmodells bei einer Energie, die für Teilchenbeschleuniger auf der Erdoberfläche nicht erreichbar ist.
Diese Forschungsarbeit wird in einer Abhandlung von Xingang Chen und Mohammad Hossein Namjoo (CfA / UT Dallas), sowie Yi Wang (Hong Kong University of Science and Technology) beschrieben. Sie wurde für die Veröffentlichung im Journal of Cosmology and Astroparticle Physics angenommen und ist online auf arxiv.org verfügbar.
Das Harvard-Smithsonian Center for Astrophysics (CfA) hat seinen Hauptsitz in Cambridge (Massachusetts) und ist ein Gemeinschaftsprojekt des Smithsonian Astrophysical Observatory und des Harvard College Observatory. Wissenschaftler aus sechs Forschungsabteilungen studieren hier den Ursprung, die Entwicklung und das endgültige Schicksal des Universums.
Quelle: https://www.cfa.harvard.edu/news/2016-02
(THK)
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