Wir leben in einem Universum, das von unsichtbarer Materie dominiert wird, und im großen Maßstab betrachtet, befinden sich die Galaxien (und alles, was sie enthalten) in Filamenten, die sich am Rande gigantischer Voids (Leerräume) erstrecken. Letztere wurden für fast leer gehalten, aber jetzt vermutet eine Gruppe Astronomen aus Österreich, Deutschland und den Vereinigten Staaten, dass diese Voids bis zu 20 Prozent der „normalen“ Materie im Universum enthalten könnten und dass die Galaxien nur ein Fünfhundertstel seines Volumens ausmachen.
Das Team unter Leitung von Dr. Markus Haider vom Institut für Astro- und Teilchenphysik der Universität Innsbruck (Österreich) veröffentlicht seine Ergebnisse in einer neuen Abhandlung in den Monthly Notices of the Royal Astronomical Society.
Moderne Satellitenobservatorien wie COBE, WMAP und Planck beobachten die kosmische Mikrowellenstrahlung und haben unser Wissen über die Zusammensetzung des Universums stetig verbessert. Die neuesten Messungen lassen darauf schließen, dass es aus 4,9 Prozent „normaler“ Materie besteht (sogenannten Baryonen, aus denen Sterne, Planeten, Gas und Staub aufgebaut sind). Dagegen fallen 26,8 Prozent auf die mysteriöse und unsichtbare Dunkle Materie und 68,3 Prozent macht die sogar noch rätselhaftere Dunkle Energie aus.
Diese Missionen wurden durch Beobachtungen bodengestützter Observatorien ergänzt, die die Positionen der Galaxien und damit indirekt auch ihre Dunkle Materie in großen Raumsegmenten kartiert haben. Sie zeigen, dass die Galaxien in Filamenten liegen, welche ein kosmisches Netz bilden. Haider und sein Team erforschten das genauer und nutzten dafür Daten des Illustris-Projekts, einer komplexen Computersimulation von der Entstehung und Entwicklung der Galaxien. Auf diese Weise maßen sie die Masse und das Volumen dieser Filamente und der darin enthaltenen Galaxien.
Illustris simuliert ein würfelförmiges Raumsegment im Universum, das eine Kantenlänge von 350 Millionen Lichtjahren aufweist. Die Simulation beginnt, als das Universum gerade einmal zwölf Millionen Jahre alt war – ein kleiner Bruchteil seines heutigen Alters. Sie zeigt, wie die Gravitation und der Materiefluss die Struktur des Universums bis zum heutigen Tag verändert haben. Die Simulation umfasst sowohl normale als auch Dunkle Materie, wobei der wichtigste Effekt die gravitative Anziehung der Dunklen Materie ist.
Als die Wissenschaftler die Daten anschauten, stellten sie fest, dass etwa 50 Prozent der Gesamtmasse des Universums an den Orten zu finden ist, wo die Galaxien liegen – komprimiert in einem Volumen, das 0,2 Prozent des beobachtbaren Universums ausmacht. Weitere 44 Prozent der Gesamtmasse befinden sich in den umgebenden Filamenten. Nur sechs Prozent der Gesamtmasse liegen in den Voids, die aber 80 Prozent des Volumens ausmachen.
Haiders Team stellte auch fest, dass ein überraschender Teil der normalen Materie – 20 Prozent – wahrscheinlich in die Voids transportiert wurde. Die Verdächtigen scheinen die supermassiven Schwarzen Löcher in den Zentren der Galaxien zu sein. Ein Teil der auf sie zustürzenden Materie wird in Energie umgewandelt. Diese Energie wird auf das umgebende Gas übertragen und führt zu gewaltigen Materiejets, die sich hunderttausende Lichtjahre weit erstrecken können – weit über ihre Heimatgalaxie hinaus.
Das Ergebnis weist nicht nur darauf hin, dass die Voids mehr Materie enthalten als gedacht, es könnte auch helfen, das Problem der fehlenden Baryonen zu erklären: Astronomen sehen nicht die Menge an normaler Materie, die von ihren Modellen vorhergesagt wird.
„Diese Simulation ist eine der modernsten, die jemals durchgeführt wurden, und spricht dafür, dass die Schwarzen Löcher in den Zentren der Galaxien dabei helfen, Materie an die einsamsten Orte im Universum zu transportieren. Jetzt möchten wir unser Modell verfeinern und diese anfänglichen Ergebnisse bestätigen“, kommentierte Dr. Haider.
Illustris führt momentan neue Simulationen durch, deren Ergebnisse in wenigen Monaten verfügbar sein sollten. Trotzdem wird es schwer sein, die Materie in den Voids zu sehen, weil sie wahrscheinlich sehr spärlich verteilt und zu kalt ist, um die Röntgenstrahlen zu emittieren, die sie für Weltraumobservatorien nachweisbar machen würde.
(THK)
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