Indem sie die Kraft einer „natürlichen Linse“ im Weltraum mit den Fähigkeiten des Weltraumteleskops Hubble kombinierten, haben Astronomen eine überraschende Entdeckung gemacht: Sie fanden das erste Beispiel einer kompakten und trotzdem massereichen, schnell rotierenden, scheibenförmigen Galaxie, die nur ein paar Milliarden Jahre nach dem Urknall aufhörte, Sterne zu produzieren.
Das Auffinden solch einer Galaxie früh in der Geschichte des Universums fordere das aktuelle Wissen darüber heraus, wie sich massereiche Galaxien bilden und entwickeln, sagen die Forscher.
Als Hubble die Galaxie fotografierte, erwarteten Astronomen eine chaotische Kugel aus Sternen zu sehen, die durch die Verschmelzung von Galaxien entstand. Stattdessen sahen sie Hinweise darauf, dass die Sterne in einer pfannkuchenförmigen Scheibe geboren wurden.
Dies ist der erste auf direkten Beobachtungen basierende Hinweis darauf, dass sich zumindest einige der frühesten sogenannten „toten“ Galaxien (in denen die Sternentstehung stoppte) irgendwie aus einer milchstraßenförmigen Scheibe in die elliptischen Riesengalaxien entwickelten, die wir heute sehen.
Das ist eine Überraschung, weil elliptische Galaxien ältere Sterne enthalten, wohingegen Spiralgalaxien normalerweise jüngere, blaue Sterne aufweisen. Zumindest einige dieser frühen „toten“ Scheibengalaxien müssen bedeutende Veränderungen erfahren haben. Sie veränderten nicht nur ihre Struktur, sondern auch die Bewegungen ihrer Sterne, um die Form einer elliptischen Galaxie anzunehmen.
„Dieser neue Einblick könnte uns dazu zwingen, den gesamten kosmologischen Kontext zu überdenken, wie Galaxien früh ausbrennen und sich in lokale, elliptische Galaxien entwickeln“, sagte der Studienleiter Sune Toft vom Dark Cosmology Center am Niels-Bohr-Institut der University of Copenhagen in Dänemark. „Vielleicht waren wir blind für die Tatsache, dass frühe ‚tote‘ Galaxien wirklich Scheiben sein könnten, weil wir sie einfach nicht auflösen konnten.“
Frühere Untersuchungen zu fernen toten Galaxien haben vermutet, dass ihre Struktur vergleichbar mit den lokalen elliptischen Galaxien ist, in die sie sich entwickeln werden. Um diese Vermutung prinzipiell zu bestätigen, werden mehr leistungsfähige Weltraumteleskope benötigt, als derzeit zur Verfügung stehen.
Durch das als Gravitationslinseneffekt bekannte Phänomen kann ein massereicher Galaxienhaufen im Vordergrund allerdings als natürliches „Vergrößerungsglas“ im Weltraum agieren und die Bilder von viel weiter entfernten Hintergrundgalaxien verstärken und auseinanderziehen. Durch die Kombination dieser natürlichen Linse mit dem Auflösungsvermögen des Hubble-Teleskops konnten die Wissenschaftler in das Zentrum der toten Galaxie blicken.
Die ferne Galaxie ist dreimal massereicher als die Milchstraßen-Galaxie, aber nur halb so groß. Messungen der Rotationsgeschwindigkeit mit dem Very Large Telescope (VLT) der Europäischen Südsternwarte zeigten, dass die Scheibengalaxie mehr als doppelt so schnell wie die Milchstraßen-Galaxie rotiert. Mit Archivdaten des Cluster Lensing And Supernova Survey with Hubble (CLASH) waren Toft und sein Team in der Lage, die stellare Masse, die Sternentstehungsrate und das Alter der Sterne zu bestimmen.
Warum diese Galaxie aufhörte, Sterne zu produzieren, ist noch unklar. Es könnte die Folge eines aktiven galaktischen Kerns sein, wobei ein supermassives Schwarzes Loch große Mengen Energie emittiert. Diese Energie verhindert die Sternentstehung, indem sie das Gas aufheizt oder aus der Galaxie herausbläst. Oder es könnte die Folge von kaltem Gas sein, das in die Galaxie hineinströmt und rasch komprimiert und aufgeheizt wird. Dadurch würde es am Abkühlen gehindert und könnte keine sternproduzierenden Wolken im Zentrum der Galaxie bilden.
Aber wie entwickeln sich diese jungen, massereichen, kompakten Scheiben in die elliptischen Galaxien, die wir im heutigen Universum sehen? „Möglicherweise durch Verschmelzungen“, sagte Toft. „Wenn diese Galaxien durch Verschmelzungen mit kleineren Begleitern wachsen, und wenn diese Begleiter in großen Anzahlen vorhanden sind und aus allen erdenklichen Winkeln in die Galaxie fallen, dann würde das letztendlich die Umlaufbahnen der Sterne in den Galaxien regellos per Zufall anordnen. Man könnte sich auch große Verschmelzungen vorstellen. Das würde die geordnete Bewegung der Sterne definitiv auch zerstören.“
Die Ergebnisse wurden in der Nature-Ausgabe vom 22. Juni 2017 veröffentlicht. Toft und sein Team hoffen, das geplante James Webb Space Telescope der NASA benutzen zu können, um nach einer größeren Stichprobe solcher Galaxien zu suchen.
Das Hubble Space Telescope ist ein Projekt internationaler Zusammenarbeit zwischen der National Aeronautics and Space Administration (NASA) und der European Space Agency (ESA). Das Goddard Space Flight Center der NASA in Greenbelt (Maryland) betreibt das Teleskop. Das Space Telescope Science Institute (STScI) in Baltomore (Maryland) führt die wissenschaftlichen Operationen Hubbles durch. Das STScI wird von der Association of Universities for Research in Astronomy, Inc., in Washington D.C. für die NASA geleitet.
Das Very Large Telescope ist eine Teleskopeinrichtung der Europäischen Südsternwarte auf dem Cerro Paranal in der nordchilenischen Atacama-Wüste.
(THK)
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