Der seltsamen Galaxie NGC 1052-DF2 fehlt fast sämtliche Dunkle Materie

Hubble-Aufnahme der ultradiffusen Galaxie NGC 1052-DF2. (Credits: NASA, ESA, and P. van Dokkum (Yale University))
Hubble-Aufnahme der ultradiffusen Galaxie NGC 1052-DF2. (Credits: NASA, ESA, and P. van Dokkum (Yale University))

Galaxien und Dunkle Materie gehören zusammen wie Erdnussbutter und Konfitüre. Normalerweise findet man eines nicht ohne das andere. Deshalb waren Forscher überrascht, als sie eine Galaxie entdeckten, den den größten Teil (wenn auch nicht sämtliche) Dunkle Materie vermissen lässt. Dunkle Materie ist eine unsichtbare Substanz und das Grundgerüst, auf dem Galaxien aufgebaut sind. Sie ist der Leim, der die sichtbare Materie in Galaxien wie Sterne und Gas zusammenhält.

„Wir nahmen an, dass jede Galaxie Dunkle Materie besitzt und dass Galaxien mithilfe Dunkler Materie entstehen“, sagte Pieter van Dokkum von der Yale University in New Haven (Connecticut), der leitende Wissenschaftler der Hubble-Beobachtungen. „Diese unsichtbare, rätselhafte Substanz ist der dominierende Aspekt jeder Galaxie. Deshalb kam es unerwartet, eine Galaxie ohne Dunkle Materie zu finden. Es fordert die Standardtheorien über die Entwicklung von Galaxien heraus und zeigt, dass Dunkle Materie tatsächlich existiert: Sie besitzt neben anderen Komponenten der Galaxien ihre eigene separate Präsenz. Dieses Ergebnis spricht auch dafür, dass es mehr als eine Möglichkeit geben könnte, um eine Galaxie zu bilden.“

Die einzigartige Galaxie mit der Katalogbezeichnung NGC 1052-DF2 enthält höchstens ein Vierhundertstel der Menge an Dunkler Materie, die Astronomen erwartet hatten. Die Galaxie ist so groß wie unsere Milchstraßen-Galaxie, aber sie ist der Aufmerksamkeit entgangen, weil sie nur ein Zweihundertstel deren Sternanzahl aufweist. Anhand der großen Ausmaße des Objekts und wegen seines schwachen Erscheinungsbildes klassifizieren Astronomen NGC 1052-DF2 als eine ultradiffuse Galaxie. Ein Durchmusterungsprojekt des Coma-Galaxienhaufens aus dem Jahr 2015 ergab, dass diese großen, schwachen Objekte überraschend häufig vorkommen.

Aber keiner der bislang entdeckten ultradiffusen Galaxien fehlte die Dunkle Materie. Daher ist NGC 1052-DF2 sogar unter diesen ungewöhnlichen Galaxien eine Besonderheit.

Van Dokkum und sein Team entdeckten die Galaxie mit dem Dragonfly Telephoto Array, einem Teleskop in New Mexico, das für das Auffinden dieser geisterhaften Galaxien entworfen wurde. Danach nutzen sie das W. M. Keck Observatory auf Hawaii, um die Bewegungen von zehn riesigen Sterngruppen – Kugelsternhaufen – in der Galaxie zu messen. Das Keck-Teleskop offenbarte, dass sich die Kugelsternhaufen mit relativ niedrigen Geschwindigkeiten bewegen, weniger als 37.000 Kilometer pro Stunde.

Sterne und Sternhaufen in den Außenbereichen von Galaxien mit Dunkler Materie bewegen sich mindestens dreimal schneller. Aus diesen Messungen berechnete das Team die Masse der Galaxie. „Wenn es dort überhaupt Dunkle Materie gibt, dann nur sehr wenig“, erklärte Dokkum. „Die Sterne in der Galaxie können die gesamte Masse ausmachen, und dort scheint es keinen Raum für Dunkle Materie zu geben.“

Die Forscher verwendeten als nächstes das Weltraumteleskop Hubble und das Gemini Observatory auf Hawaii, um mehr Einzelheiten über die einzigartige Galaxie zu enthüllen. Das Gemini-Teleskop offenbarte, dass die Galaxie keine Hinweise auf eine Interaktion mit einer anderen Galaxie zeigt. Hubble unterstützte das Team dabei, die Kugelsternhaufen besser zu identifizieren und machte eine präzise Entfernungsmessung.

Die Hubble-Aufnahmen enthüllten auch das ungewöhnliche Erscheinungsbild der Galaxie. „Ich verbrachte eine Stunde damit, nur das Hubble-Bild anzuschauen“, sagte van Dokkum. „Es ist so selten – vor allem nach den ganzen Betriebsjahren von Hubble –, dass man ein Bild von etwas bekommt und man sagt ‚Ich habe das noch nie zuvor gesehen‘. Dieses Objekt ist verblüffend: Ein riesiger Fleck und man kann durchgucken. Er ist so diffus, dass man die Galaxien dahinter sehen kann. Es ist wortwörtlich eine durchsichtige Galaxie.“

Die geisterhafte Galaxie besitzt weder eine erkennbare Zentralregion noch Spiralarme und eine Scheibe, was typische Merkmale einer Spiralgalaxie wären. Aber sie sieht auch nicht wie eine elliptische Galaxie aus. Sie zeigt außerdem keine Hinweise darauf, dass sie ein zentrales Schwarzes Loch beherbergt. Basierend auf den Farben ihrer Kugelsternhaufen ist die Galaxie etwa zehn Milliarden Jahre alt. Sogar die Kugelsternhaufen sind etwas Besonderes: Sie sind doppelt so groß wie normale Sternhaufen, die in anderen Galaxien beobachtet werden.

„Es ist so, als würde man eine Galaxie nehmen und nur den stellaren Halo und die Kugelsternhaufen haben, ohne alles andere“, sagte van Dokkum. „Es gibt keine Theorie, die diese Galaxientypen voraussagt. Die Galaxie ist ein komplettes Rätsel, weil alles an ihr seltsam ist. Wie ein solches Objekt letztendlich entsteht, ist völlig unbekannt.“

Aber die Forscher haben ein paar Theorien. NGC 1052-DF2 liegt rund 65 Millionen Lichtjahre entfernt in einer Galaxiengruppe, die von der riesigen elliptischen Galaxie NGC 1052 dominiert wird. Die Galaxienbildung ist turbulent und chaotisch, und van Dokkum vermutet, dass das Wachstum der jungen, massereichen Galaxie vor Milliarden Jahren vielleicht eine Rolle beim Mangel an Dunkler Materie in der Galaxie NGC 1052-DF2 spielte.

Eine andere Möglichkeit besagt, dass Gas, welches auf die elliptische Riesengalaxie NGC 1052 zuströmt, fragmentiert worden sein könnte und die Galaxie NGC 1052-DF2 bildete. Die Entstehung von NGC 1052-DF2 könnte von starken Winden begünstigt worden sein, die von dem jungen Schwarzen Loch ausgingen, welches im Zentrum von NGC 1052 wuchs. Diese Möglichkeiten sind allerdings spekulativ und erklären den Forschern zufolge nicht alle Eigenschaften der beobachteten Galaxie.

Das Team sucht bereits nach weiteren Galaxien, denen die Dunkle Materie fehlt. Die Wissenschaftler analysieren Hubble-Aufnahmen von 23 anderen diffusen Galaxien. Drei davon scheinen NGC 1052-DF2 zu ähneln. „Jede Galaxie, die wir vorher kannten, besitzt Dunkle Materie, und sie alle fallen in vertraute Kategorien wie Spiralgalaxien oder elliptische Galaxien“, sagte van Dokkum. „Aber was würde man bekommen, wenn es dort keine Dunkle Materie gäbe? Vielleicht würde man so etwas bekommen.“ Die Ergebnisse des Teams erscheinen in der Nature-Ausgabe vom 29. März 2018.

Das Weltraumteleskop Hubble ist ein Projekt internationaler Zusammenarbeit zwischen der NASA und der ESA. Das Goddard Space Flight Center der NASA in Greenbelt (Maryland) betreibt das Teleskop. Das Space Telescope Science Institute (STScI) in Baltimore führt die wissenschaftlichen Operationen Hubbles durch. Das STScI wird von der Association of Universities for Research in Astronomy, Inc. in Washington, D.C. für die NASA geleitet.

Quelle

(THK)

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