Neue Einblicke in das Verhalten von Kometenschweifen im Sonnenwind

Der Komet McNaught über dem Pazifik, aufgenommen vom Paranal Observatory im Januar 2007. (Credits: ESO / Sebastian Deiries)
Der Komet McNaught über dem Pazifik, aufgenommen vom Paranal Observatory im Januar 2007. (Credits: ESO / Sebastian Deiries)

Ingenieure und Wissenschaftler versammelten sich um einen Bildschirm in einem Kontrollraum am Naval Research Laboratory in Washington, D.C. und freuten sich auf die ersten Daten der STEREO-Raumsonden. Das war im Januar 2007 und die beiden STEREO-Satelliten (Solar and Terrestrial Relations Observatory), die nur Monate vorher gestartet wurden, öffneten die Augen ihrer Instrumente zum ersten Mal.

Zuerst STEREO-B: Der Bildschirm blinkte, aber anstatt des erwarteten Sternenfeldes füllte ein perlweißer, zarter Schleier das Bild – wie ein Engelsflügel. Ein paar panische Minuten lang sorgte sich der Astrophysiker Karl Battams vom NRL darüber, dass etwas mit dem Teleskop nicht stimmte. Dann erkannte er, dass dieses helle Objekt kein Fehler war, sondern ein tatsächlich vorhandenes Objekt. Das waren die ersten Satellitenbilder des Kometen McNaught. Später an diesem Tag würde STEREO-A vergleichbare Beobachtungen zurückschicken.

Der Komet C/2006 P1 McNaught, benannt nach Robert McNaught, der ihn im August 2006 entdeckte, war einer der hellsten Kometen, die in den vergangenen 50 Jahren von der Erde aus sichtbar waren. Im Januar 2007 zog der Komet über den Himmel der südlichen Hemisphäre, so dass er sogar tagsüber mit dem bloßen Auge sichtbar war. McNaught gehörte zu einer seltenen Gruppe von Kometen, die als Große Kometen bezeichnet werden und für ihre außergewöhnliche Helligkeit bekannt sind.

Was McNaught von seinen Geschwistern unterschied, war jedoch sein hochgradig strukturierter Schweif, der aus vielen einzelnen Staubstreifen bestand und sich mehr als 160 Millionen Kilometer hinter den Kometen erstreckte – das ist länger als die Distanz zwischen Sonne und Erde. Einen Monat später, im Februar 2007, begegnete eine NASA/ESA-Raumsonde namens Ulysses dem langen Schweif des Kometen.

„McNaught war eine große Sache, weil er so unglaublich hell war und so schön am Himmel stand“, sagte Battams. „Er hatte diese Staubstreifen – staubige Finger, die sich über einen großen Teil des Himmels erstreckten. Hinsichtlich seiner Struktur war er einer der schönsten Kometen, die wir seit Jahrzehnten beobachtet haben.“

Wie genau der Schweif auf diese Weise auseinanderbrach, wissen die Forscher nicht. Es ähnelt Berichten über einen anderen Kometen vor langer Zeit: dem Großen Kometen von 1744, dessen Schweif sich dramatisch in sechs Schweife aufteilte und über den Horizont ausbreitete. Damals konnten Astronomen das Phänomen nicht erklären. Durch die Entschlüsselung der Geheimnisse von McNaughts Schweif hofften Wissenschaftler, etwas Neues über die Natur der Kometen zu erfahren und zwei kosmische Rätsel auf einmal zu lösen.

Eine Zeichnung der sechs Schweife des Großen Kometen von 1744, beobachtet vor dem Sonnenaufgang am 9. März 1744 von Amédée Guillemin. (Credits: Paris Observatory)
Eine Zeichnung der sechs Schweife des Großen Kometen von 1744, beobachtet vor dem Sonnenaufgang am 9. März 1744 von Amédée Guillemin. (Credits: Paris Observatory)

Ein wichtiger Unterschied zwischen der Beobachtung von Kometen in den Jahren 1744 und 2007 ist natürlich unsere Möglichkeit, das aus dem Weltraum zu tun. Neben den Zufallsbeobachtungen der STEREO-Raumsonden machte eine andere Mission namens SOHO (Solar and Heliospheric Observatory) regelmäßige Beobachtungen, als McNaught an der Sonne vorbeiflog. Die Forscher hofften, dass diese Bilder ihre Antworten enthalten könnten.

Jetzt, Jahre später, hat der Doktorand Oliver Price vom Mullard Space Science Laboratory am University College London eine neue Bildverarbeitungsmethode entwickelt, um die Datenmenge zu bewältigen. Seine Ergebnisse, zusammengefasst in einer kürzlich im Journal Icarus veröffentlichten Abhandlung, bieten die ersten Beobachtungen zur Entstehung der Staubstreifen und eine unerwartete Enthüllung über die Auswirkungen der Sonne auf den Kometenstaub.

Kometen sind kosmische Klumpen aus gefrorenem Gas, Gestein und Staub, der von der Bildung unseres Sonnensystems vor 4,6 Milliarden Jahren übrig blieb. Deshalb könnten sie wichtige Anhaltspunkte über die Frühgeschichte unseres Sonnensystems enthalten. Diese Hinweise werden freigegeben wie aus einer Zeitkapsel, wenn die elliptische Umlaufbahn eines Kometen ihn in die Nähe der Sonne führt. Starke Hitze verdampft die gefrorenen Gase und setzt den eingeschlossenen Staub frei, der hinter dem Kometen herströmt. Dabei bilden sich zwei charakteristische Schweife: ein Staubschweif und ein Ionenschweif, der vom Sonnenwind fortgetragen wird. Der Sonnenwind ist der konstante Strom aus geladenen Teilchen, der von der Sonne ausgeht.

Zu verstehen, wie sich der Staub in dem Schweif verhält und wie er fragmentiert und sich zusammenballt, kann Wissenschaftlern viel über vergleichbare Prozesse lehren, die vor Milliarden Jahren Staub zu Asteroiden, Monden und sogar Planeten werden ließen. McNaught als einer der größten und komplexesten Kometen in der jüngeren Geschichte war ein besonders gutes Objekt für diese Art Untersuchungen. Seine Helligkeit und hohen Staubproduktionsraten machten es viel leichter, die Entwicklung der feinen Strukturen in seinem Staubschweif zu verfolgen.

Price begann seine Studie mit dem Schwerpunkt auf einem Sachverhalt, den die Wissenschaftler nicht erklären konnten. „Mein Doktorvater und ich bemerkten seltsame Vorgänge auf den Bildern dieser Staubstreifen – eine Unterbrechung in den sonst deutlichen Linien“, sagte er. „Ich machte mich daran zu untersuchen, was geschehen sein könnte, um diesen eigenartigen Effekt zu verursachen.“

Die Unterbrechung schien sich an der heliosphärischen Stromschicht zu befinden, einer Grenze, wo die magnetische Ausrichtung oder Polarität des elektrisch geladenen Sonnenwinds die Richtungen ändert. Das bereitete Wissenschaftlern Kopfzerbrechen, weil sie den Sonnenwind nie zuvor Staubschweife haben beeinflussen sehen, obwohl sie lange wussten, dass der Ionenschweif eines Kometen von dem Sonnenwind beeinflusst wird.

Diese Illustration zeigt die heliosphärische Stromschicht, die sich von der Sonne nach außen spiralt. Dort ändert das Magnetfeld seine Polarität. (Credits: NASA’s Goddard Space Flight Center)
Diese Illustration zeigt die heliosphärische Stromschicht, die sich von der Sonne nach außen spiralt. Dort ändert das Magnetfeld seine Polarität. (Credits: NASA’s Goddard Space Flight Center)

Die Staubteilchen in McNaughts Schweif habe etwa die Größe der Teilchen von Zigarettenqualm und seien zu schwer, um vom Sonnenwind weggedrückt zu werden, so vermuteten die Wissenschaftler. Die kleinen, elektrisch geladenen Ionen und Elektronen segeln dagegen leicht mit dem Sonnenwind. Aber es war schwer zu sagen, was genau wo mit McNaughts Staub passiert, weil der Komet sich mit circa 96 Kilometern pro Sekunde fortbewegte und die Blickfelder von STEREO und SOHO rasch durchquerte.

„Wir erhielten wirklich gute Daten zu diesem Kometen, aber sie stammten von verschiedenen Kameras an Bord unterschiedlicher Raumsonden an unterschiedlichen Positionen“, sagte Price. „Ich suchte nach einer Möglichkeit, sie alle zusammenzufügen, um ein komplettes Bild dessen zu erhalten, was in dem Schweif geschieht.“

Seine Lösung war eine neue Bildverarbeitungsmethode, die all die Daten der verschiedenen Satelliten mittels einer Simulation des Schweifs verarbeitet. Dabei wird die Position jedes winzigen Staubflecks kartiert, unter Einbeziehung der solaren Bedingungen und der physikalischen Eigenschaften wie Größe und Alter oder der Zeitspanne seit seiner Abspaltung von der Koma des Kometen. Das Endergebnis bezeichnet Price als eine temporale Karte, die Informationsschichten aus allen Bildern zu jedem Zeitpunkt enthält. Das erlaubt ihm, die Bewegungen des Staubs zu verfolgen.

Die temporalen Karten ermöglichten Price, die Entstehung der Staubstreifen im Verlauf der Zeit zu beobachten. Seine Videos, die einen Zeitraum von zwei Wochen umfassen, sind die ersten, die die Entstehung und Entwicklung dieser Strukturen verfolgen und zeigen, wie Staubfragmente sich von dem Kometenkopf abspalten und zu langen Staubstreifen kollabieren.

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Video-Link: https://youtu.be/2WQGyAUUvMs


Am meisten aufgeregt waren die Forscher aber deswegen, weil Price‘ Karten es einfacher machten, den seltsamen Effekt zu erklären, der anfangs ihre Aufmerksamkeit auf sich zog. Die Unterbrechungen in dem Staubschweif wurden tatsächlich von der heliosphärischen Stromschicht verursacht, die die weichen, durchgehenden Linien jedes Staubstreifens aufbrach. In den zwei Tagen, die der Komet für die Durchquerung der Schicht benötigte, wurde der Staub durch die wechselnden magnetischen Bedingungen aus der Bahn gebracht, als würde er eine kosmische Bremsschwelle überqueren.

„Es ist so, als würden die Federn der Staubstreifen beim Überqueren der heliosphärischen Stromschicht zerzaust“, sagte Geraint Jones, ein Planetenforscher vom University College London. „Wenn man einen Flügel mit vielen Federn beim Überqueren der Grenze fotografieren würde, dann würden die leichteren Enden der Federn aus der Form gebogen. Für uns ist das ein deutlicher Beleg dafür, dass der Staub elektrisch geladen ist, und dass der Sonnenwind die Bewegung dieses Staubs beeinflusst.“

Wissenschaftlern ist seit Langem bekannt, dass der Sonnenwind elektrisch geladenen Staub beeinflusst. Missionen wie Galileo, Cassini und Ulysses beobachteten die Bewegungen des elektrisch geladenen Staubs durch den Weltraum nahe Jupiter und Saturn. Aber es war für sie eine Überraschung zu sehen, dass der Sonnenwind größere Staubkörnchen wie jene in McNaughts Schweif beeinflusst, die 100 Mal größer sind als die Teilchen um Jupiter und Saturn.

Mit dieser Studie gewinnen Forscher neue Einblicke in lang bestehende Rätsel. Die Arbeit wirft Licht auf die Natur solch strukturierter Kometenschweife in der Vergangenheit und liefert eine entscheidende Grundlage für die zukünftige Untersuchung anderer Kometen. Aber sie wirft auch neue Fragen auf: Welche Rolle spielte die Sonne bei der Entstehung und in der Frühgeschichte unseres Sonnensystems?

„Jetzt da wir sehen, wie der Sonnenwind die Positionen der Staubkörnchen in McNaughts Schweif veränderte, können wir fragen: Könnte es der Fall gewesen sein, dass der Sonnenwind auch in der Frühgeschichte des Sonnensystems eine Rolle bei der Ausrichtung des Staubs spielte?“, sagte Jones.

Quelle

(THK)

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