Hubble beobachtet eine ungewöhnliche Akkretionsscheibe in NGC 3147

Hubble-Aufnahme der Spiralgalaxie NGC 3147. Die Grafik rechts ist eine schematische Darstellung einer Gasscheibe, die sich dicht an dem supermassiven Schwarzen Loch im Zentrum von NGC 3147 befindet. (Credits: Hubble Image: NASA, ESA, S. Bianchi (Università degli Studi Roma Tre University), A. Laor (Technion-Israel Institute of Technology), and M. Chiaberge (ESA, STScI, and JHU); illustration: NASA, ESA, and A. Feild and L. Hustak (STScI))
Hubble-Aufnahme der Spiralgalaxie NGC 3147. Die Grafik rechts ist eine schematische Darstellung einer Gasscheibe, die sich dicht an dem supermassiven Schwarzen Loch im Zentrum von NGC 3147 befindet. (Credits: Hubble Image: NASA, ESA, S. Bianchi (Università degli Studi Roma Tre University), A. Laor (Technion-Israel Institute of Technology), and M. Chiaberge (ESA, STScI, and JHU); illustration: NASA, ESA, and A. Feild and L. Hustak (STScI))

Als ob Schwarze Löcher nicht schon rätselhaft genug wären, haben Astronomen mit dem Weltraumteleskop Hubble eine unerwartet dünne Materiescheibe entdeckt, die um ein supermassives Schwarzes Loch wirbelt. Es befindet sich im Zentrum der schönen Spiralgalaxie NGC 3147, rund 130 Millionen Lichtjahre entfernt.

Das Rätsel besteht darin, dass die Scheibe ausgehend von den gängigen astronomischen Theorien nicht da sein sollte. Die unerwartete Präsenz einer Scheibe so dicht an einem Schwarzen Loch bietet jedoch eine einzigartige Möglichkeit, um Albert Einsteins Relativitätstheorien zu prüfen. Die allgemeine Relativitätstheorie beschreibt die Gravitation als Krümmung des Raums, und die spezielle Relativitätstheorie beschreibt den Zusammenhang zwischen Zeit und Raum.

Wir haben die Effekte der allgemeinen und speziellen Relativitätstheorie in sichtbaren Wellenlängen noch nie so deutlich beobachtet“, sagte Marco Chiaberge von der European Space Agency (ESA). Er arbeitet am Space Telescope Science Institute und an der Johns Hopkins University, beides in Baltimore (Maryland) und ist Mitglied des Teams, das die Hubble-Studie durchführte.

„Das ist ein verblüffender Blick auf eine Scheibe sehr dicht an einem Schwarzen Loch – so nah, dass die Geschwindigkeiten und die Stärke der Gravitationskraft die Art und Weise beeinflussen, wie die Photonen aussehen“, ergänzte der Erstautor der Studie, Stefano Bianchi von der Università degli Studi Roma Tre in Rom (Italien). „Wir können die Daten nicht verstehen, bis wir die Relativitätstheorien einschließen.“

Schwarze Löcher in bestimmten Galaxientypen wie NGC 3147 sind unterernährt, weil es dort nicht genug gravitativ eingefangene Materie gibt, die sie regelmäßig aufnehmen können. Deshalb bläht sich der dünne Dunst der einfallenden Materie eher wie ein Donut auf und flacht sich nicht in eine pfannkuchenförmige Scheibe ab. Aus dem Grund ist es sehr rätselhaft, warum es in NGC 3147 eine dünne Scheibe um ein hungerndes Schwarzes Loch gibt, welche den viel gewaltigen Scheiben in extrem aktiven Galaxien mit gigantischen Schwarzen Löchern gleicht.

„Wir dachten, dass dies der beste Kandidat ist, um zu bestätigen, dass die Akkretionsscheibe unterhalb bestimmter Lichtstärken nicht länger existiert“, erklärte Ari Laor vom Technion-Israel Institute of Technology in Haifa (Israel). „Was wir sahen, war etwas völlig Unerwartetes. Wir fanden bewegtes Gas, das Strukturen hervorbringt, die wir nur dadurch erklären können, dass Materie in einer dünnen Scheibe sehr dicht an dem Schwarzen Loch rotiert.“

Die Astronomen wählten diese Galaxie ursprünglich, um akzeptierte Modelle über aktive Galaxien mit geringerer Leuchtkraft zu validieren – jene mit Schwarzen Löchern, die sozusagen auf Diät sind. Die Modelle sagen voraus, dass eine Akkretionsscheibe entsteht, wenn eine genügend große Menge Gas von dem starken Gravitationsfeld eines Schwarzen Lochs eingefangen wird. Diese einfallende Materie emittiert viel Licht und produziert bei den meisten gut genährten Schwarzen Löchern ein helles Phänomen, das als Quasar bezeichnet wird. Wenn weniger Materie in die Scheibe gezogen wird, beginnt sie zusammenzubrechen, wird schwächer und verändert ihre Struktur.

„Die Art von Scheibe, die wir sehen, ist ein runterskalierter Quasar, von dem wir nicht erwartet hatten, dass er existiert“, sagte Bianchi. „Es ist der gleiche Scheibentyp, den wir in Objekten sehen, die 1.000 oder sogar 100.000 Mal heller sind. Die Vorhersagen der aktuellen Modelle zur Gasdynamik in sehr schwachen aktiven Galaxien haben ganz klar versagt.“

Die Scheibe ist so tief in das starke Gravitationsfeld des Schwarzen Lochs eingebettet, dass das Licht der Gasscheibe gemäß Einsteins Relativitätstheorien verändert wird. Das gibt Astronomen einen einmaligen Blick auf die dynamischen Prozesse in der Nähe eines Schwarzen Lochs.

Hubble maß Materie, die mit mehr als zehn Prozent der Lichtgeschwindigkeit um das Schwarze Loch herumwirbelt. Bei so hohen Geschwindigkeiten scheint das Gas heller zu werden, wenn es sich in Richtung Erde bewegt, und sich abzuschwächen, wenn es sich auf der gegenüberliegenden Seite von unserem Planeten entfernt. Die Hubble-Beobachtungen zeigen auch, dass das Gas so sehr der Gravitationswirkung unterliegt, dass das Licht Schwierigkeiten hat zu entkommen. Daher erscheint es in rötlichere Wellenlängen verschoben. Die Masse des Schwarzen Lochs beträgt rund 250 Millionen Sonnenmassen.

Die Forscher nutzten den Hubbles Space Telescope Imaging Spectrograph (STIS), um Materie tief innerhalb der Scheibe zu beobachten. Ein Spektrograf ist ein diagnostisches Instrument, das Licht von einem Objekt in seine einzelnen Wellenlängen aufspaltet, um dessen Geschwindigkeit, Temperatur und andere Eigenschaften mit hoher Präzision zu messen. Die Astronomen brauchten die scharfe Auflösung des STIS-Instruments, um das schwache Licht zu isolieren, das aus der Region um das Schwarze Loch stammt, und um kontaminierendes Sternlicht auszublenden.

„Ohne Hubble hätten wie das nicht sehen können, weil die Region um das Schwarze Loch eine geringe Helligkeit hat“, sagte Chiaberge. „Die Helligkeiten der Sterne in der Galaxie überstrahlen alles im Kern. Wenn man es vom Erdboden aus betrachtet, wird es von der Helligkeit der Sterne dominiert, was die schwache Emission des Kerns überdeckt.“

Das Team hofft, Hubble für die Jagd nach anderen sehr kompakten Scheiben um mangelernährte Schwarze Löcher in vergleichbaren aktiven Galaxien nutzen zu können. Die Abhandlung des Teams wurde am 11. Juli 2019 in den Monthly Notices of the Royal Astronomical Society veröffentlicht.

Das internationale Forschungsteam dieser Studie besteht aus Stefano Bianchi (Università degli Studi Roma Tre in Rom, Italien), Robert Antonucci (University of California in Santa Barbara, Kalifornien), Alessandro Capetti (INAF – Osservatorio Astrofisico di Torino, Pino Torinese, Italien), Marco Chiaberge (Space Telescope Science Institute und Johns Hopkins University in Baltimore, Maryland), Ari Laor (Israel Institute of Technology in Haifa, Israel), Loredana Bassani (INAF/IASF in Bologna, Italien), Francisco Carrera (CSIC-Universidad de Cantabria in Santander, Spanien), Fabio La Franca, Andrea Marinucci, Giorgio Matt und Riccardo Middei (Università degli Studi Roma Tre in Rom, Italien) sowie Francesca Panessa (INAF Istituto di Astrofisica e Planetologia Spaziali in Rom, Italien).

Das Weltraumteleskop Hubble ist ein Projekt internationaler Zusammenarbeit zwischen der NASA und der ESA. Das Goddard Space Flight Center der NASA in Greenbelt (Maryland) betreibt das Teleskop. Das Space Telescope Science Institute (STScI) in Baltimore (Maryland) führt Hubbles wissenschaftliche Operationen durch. Das STScI wird von der Association of Universities for Research in Astronomy in Washington, D.C. für die NASA geleitet.

Quelle

(THK)

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