Merkmale, die das Aussehen eines Organismus ausmachen, werden von vielen verschiedenen Genen und der Umgebung des Lebewesens bestimmt. „Menschen und domestizierte Tiere haben beispielsweise unterschiedliche Hautfarben, Fell und Haare und sind unterschiedlich groß. Das ist ein Beispiel für eine kontinuierliche Variation“, sagte der Genetiker und Ökologe Zach Gompert von der Utah State University (USU). „Die Typen von genetischen Mutationen, die in der freien Natur die Anpassung und damit das Aussehen beeinflussen, beginnen wir gerade erst zu verstehen. Manche Merkmale zeigen mehr diskrete Variationen.“
In einer am 23. Juli 2020 im Journal Science veröffentlichten Studie beschreiben Gompert und seine Kollegen Ergebnisse einer Untersuchung an sieben Arten nordamerikanischer Stabschrecken der Gattung Timema. An der Studie wirkten Forscher der University of Sheffield (Großbritannien), der France’s Paul Valéry University of Montpellier, der University of Bern und des Swiss Federal Institute for Aquatic Science and Technology (Schweiz), sowie des México’s Campus Juriquilla of the Autonomous University of Querétaro, der University of Notre Dame und der University of Nevada in Reno mit.
„Die meisten Forschungsarbeiten zur genetischen Basis von Merkmalen und Adaption haben sich auf einzelne Gene und kleine Mutationen konzentriert“, sagte Gombert, ein außerordentlicher Professor am Department of Biology und am Ecology Center der USU. „Aber in dieser Studie entschlüsseln wir eine größere Rolle für große Mutationen und strukturelle Neuanordnungen des Genoms, die Genansammlungen effektiv in Gruppen „einschließen“.
Die im Rahmen der Studie untersuchten Stabschrecken sind flugunfähig und Pflanzenfresser. Die meisten Timema-Spezies gibt es in grünen und braunen „Morphen“, einer lokalen Varietät einer Spezies. Sie passen sich visuell an ihre Umgebungen an. Diese sogenannte kryptische Farbgebung ermöglicht den Insekten, Fressfeinden wie Vögeln zu entgehen, während sie sich an die Blätter und Äste anpassen, welche sie fressen. Eine Spezies allerdings, Timema chumash, zeigt eine Vielfalt an Farben, darunter Grün- und Brauntöne, aber auch Gelb, Orange, Rot und Blautöne.
„Mit Genomkartierungsmethoden zeigen wir, dass eine große adaptive, Deletion von einer Million Basenpaaren (eine Supermutation) ein Kontinuum an Farbvariationen bei Timema chumash in die diskreten Farbmorphen bei anderen Stabschrecken umwandelt“, sagte Gompert. „Dieses Ergebnis ist wichtig, weil es hilft, große evolutionäre Verschiebungen oder Lücken mit dem kontinuierlichen Prozess der Evolution in Einklang zu bringen. Es bietet auch Einblicke darin, wie die kontinuierliche Variation in semidiskrete Einheiten biologischer Diversität verpackt ist, beispielsweise Morphen, Geschlechter und Arten.“
Große, sich abtrennende Genblöcke wurden meist mit der Hybridisierung in Zusammenhang gebracht – dem Prozess, bei dem sich ein Organismus mit einer anderen Spezies oder Abwandlung fortpflanzt. In einer früheren Studie, die am 1. Mai 2020 im Journal Nature Communications erschien, berichteten Gombert und seine Kollegen über eine Untersuchung an Schmetterlingen der Gattung Lycaeides. Sie zeigte, dass die Hybridisierung und die natürliche Selektion in wiederholten Evolutionsmustern auf Chromosomenmaßstab resultieren können.
„Der Timema-Fall ist allerdings anders“, sagte er. „Hier hat die Supermutation als ein Polymorphismus innerhalb einer Spezies überdauert und ohne Hybridisierung seit Millionen Jahren hauptsächlich grüne und braune Formen hervorgebracht. Die natürliche Selektion scheint beide Formen im Gleichgewicht zu halten.“
(THK)
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