Ein Entstehungsszenario für ungleiche Doppelsysteme von Schwarzen Löchern

Schematische Abfolge der Ereignisse, die zu dem Gravitationswellensignal GW190412 geführt haben könnten. (Credits: Rodriguez et al., 2020)
Schematische Abfolge der Ereignisse, die zu dem Gravitationswellensignal GW190412 geführt haben könnten. (Credits: Rodriguez et al., 2020)

Der direkte Nachweis von Gravitationswellen von mindestens elf Quellen in den letzten fünf Jahren hat Einsteins Modell der Gravitation und Raumzeit spektakulär bestätigt. Währenddessen hat die Modellierung dieser Ereignisse Informationen über die Entstehung von Sternen, Gammaausbrüche, Neutronensterne, sowie das Alter des Universums geliefert und sogar Theorien zur Entstehung sehr schwerer Elemente verifiziert.

Der Großteil dieser Gravitationswellenereignisse stammte aus der Verschmelzung zweier Schwarzer Löcher vergleichbarer Massen, die einander umkreisten. Paare mit annähernd gleichen Massen werden in Modellen der Entstehung von Doppelsystemen aus zwei Schwarzen Löchern stark bevorzugt, egal ob sie aus der Entwicklung isolierter Doppelsterne resultieren oder aus der dynamischen Paarung zweier Schwarzer Löcher.

Dieses Jahr berichteten die Gravitationswellenobservatorien LIGO und Virgo jedoch über den ersten Nachweis eines Paares Schwarzer Löcher mit sehr ungleichen Massen. An GW190412, so die Katalogbezeichnung, waren Schwarze Löcher mit geschätzt 30 und acht Sonnenmassen beteiligt. Die Frage ist nun: Wie entstanden sie?

Der CfA-Astronom Carl Rodriguez leitete ein Team bei einer theoretischen Untersuchung darüber, wie solch ein ungleiches Doppelsystem entstehen könnte. Die offensichtlichste Lösung besteht darin, einen dichten Sternhaufen zu beobachten, wo Paare aus Schwarzen Löchern mit vergleichbaren Massen und geringen Rotationen auf natürliche Weise entstehen können. Ein Grund dafür ist, dass massereiche Schwarze Löcher und Sterne dazu tendieren, in die Zentren der Sternhaufen zu wandern, wo sie einander häufiger begegnen. Aber sogar dort ist es unwahrscheinlich, dass aus diesen Begegnungen ein ungleiches Massenpaar hervorgeht.

Die Rotation jedes Schwarzen Lochs führt zu einem weiteren verkomplizierenden Faktor. Sie wird durch eine Zahl zwischen Null und Eins quantifiziert. Wenn beide Schwarze Löcher bei einer Verschmelzung erwartungsgemäß einen geringen Rotationswert haben, dann wird ihre Verschmelzung normalerweise ein viel massereicheres Schwarzes Loch mit hohem Rotationswert erzeugen, möglicherweise um 0,7. Aber die abgeleiteten Rotationswerte der Schwarzen Löcher in GW190412 sind gut auf etwa 0,43 bestimmt, was darauf hindeutet, dass sie nicht aus einer solch einfachen Verschmelzung entstanden.

Die Astronomen sagen, dass die wahrscheinlichste Möglichkeit, um dieses unwahrscheinliche Paar zu produzieren, zwei frühere Verschmelzungen in dem Sternhaufen gewesen seien – ein Prozess, der letztendlich in einem Schwarzen Loch mit dem korrekten Rotationswert resultieren kann. Erst verschmelzen zwei Doppelsysteme – jedes für sich. Jedes dieser Paare enthält Schwarze Löcher mit vergleichbaren mittelgroßen Massen und jede Verschmelzung produziert ein massereicheres Schwarzes Loch.

Dann bilden diese beiden neuen Schwarzen Löcher ein Doppelsystem und verschmelzen, wobei sie das beobachtete Schwarze Loch mit 30 Sonnenmassen und moderatem Rotationswert bilden. Danach tut sich dieses Schwarze Loch mit einem massearmen Schwarzen Loch zusammen, um das Doppelsystem zu bilden, dessen Verschmelzung das Ereignis GW190412 verursachte. Auch bei dem massearmen Schwarzen Loch sind im Vorfeld mehrere Verschmelzungen möglich. Obwohl eine Reihe solcher Ereignisse selten ist, zeigen die Wissenschaftler, dass bekannte Sternhaufen die passenden Umgebungen schaffen könnten, damit das geschieht.

Das neue Ergebnis und die neue Analyse haben wie im Fall früherer Gravitationswellenereignisse unseren Blick auf die kosmische Vielfalt erweitert und grundlegende Annahmen gefestigt. Eine dieser Annahmen besagt, dass Schwarze Löcher typischerweise aus dem Kollaps von Sternen mit geringen Rotationswerten hervorgehen. Zukünftige Arbeiten werden zeigen, ob ein dreistufiger Verschmelzungsprozess benötigt wird, um Ereignisse wie GW190412 zu erklären, oder ob stattdessen Annahmen wie diese bezüglich des Rotationswerts überdacht werden müssen.

Abhandlung: „GW190412 as a Third-generation Black Hole Merger from a Super Star Cluster“ von Carl L. Rodriguez, Kyle Kremer, Michael Y. Grudić, Zachary Hafen, Sourav Chatterjee, Giacomo Fragione, Astrid Lamberts, Miguel A.S. Martinez, Frederic A. Rasio, Newlin Weatherford und Claire S. Ye, The Astrophysical Journal Letters 896, L10, 2020.

Quelle

(THK)

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