Manchmal werden große Mengen Gas in die Kernregionen einer Galaxie kanalisiert, was tiefgreifende Folgen hat. Das Gas löst Sternentstehungsaktivitäten aus und kann auch das supermassive Schwarze Loch nähren und es dadurch in einen aktiven galaktischen Kern verwandeln. Man vermutet, dass die supermassiven Schwarzen Löcher in aktiven galaktischen Kernen den Großteil ihrer Massen tatsächlich durch diese Akkretionsereignisse gewinnen.
Letztendlich beenden der nach außen gerichtete Druck von Supernovae, Schockwellen und/oder die Aktivität des galaktischen Kerns den Einströmungsprozess. Man nimmt an, dass galaktische Verschmelzungen ein Mechanismus sind, der diese gewaltigen Einströmungen auslösen kann. Eine weniger dramatische Ursache könnte aus Gasströmen resultieren, die durch eine Kombination aus galaktischer Rotation und gravitativen Instabilitäten aufgrund der galaktischen Balken erzeugt werden. Galaktische Balken sind längliche Strukturen aus Sternen, die in den Zentren zahlreicher Spiralgalaxien beobachtet werden, die Milchstraßen-Galaxie eingeschlossen.
Was mit dem einströmenden Gas passiert, wenn es auf eine Kernregion trifft, ist nicht gut verstanden, weil die sehr starke Verdunkelung um galaktische Kerne optische Beobachtungen anspruchsvoll macht. Astronomen müssen sich daher auf Daten auf Beobachtungen in ferninfraroten und Submillimeterwellenlängen stützen, die den Staub durchdringen können. Allerdings mangelt es bei Beobachtungen in längeren Wellenlängen normalerweise an der notwendigen hohen räumlichen Auflösung.
Infrarotspektroskopie ist eine der wichtigsten Möglichkeiten zur Überwindung beider Probleme, weil die Strahlung nicht nur den Staub durchdringt. Die Intensitäten und Formen der Spektrallinien können modelliert werden, um sogar noch kleinere Dimensionen und Temperaturen, Dichten und andere Eigenschaften der strahlenden Regionen abzuleiten.
Die Astronomen Eduardo Gonzalez-Alfonso, Matt Ashby und Howard Smith vom Harvard-Smithsonian Center for Astrophysics (CfA) leiteten ein Team, dass die Infrarotspektren für Wasserdampf aus der Kernregion der ultraleuchtkräftigen Galaxie ESO 320-G030 modellierte. Diese Galaxie liegt rund 160 Millionen Lichtjahre entfernt und emittiert etwa 100 Mal mehr Energie als die Milchstraßen-Galaxie. Die Daten wurden mit dem Weltraumobservatorium Herschel und dem Atacama Large Millimeter/submillimeter Array (ALMA) gesammelt.
Diese Galaxie zeigt keine Anzeichen für eine Verschmelzung in der Vergangenheit und zeigt auch keine Hinweise auf einen aktiven galaktischen Kern. Aber sie besitzt eine deutliche und komplexe Zentralbalkenstruktur, und mittels Infrarotspektroskopie wurde bereits zuvor einströmendes Gas entdeckt.
Die Astronomen beobachteten und modellierten 20 spektrale Eigenschaften für Wasserdampf – genug diagnostische Linien, um die Komplexität der strahlenden Regionen zu modellieren. Die erfolgreichen Ergebnisse erforderten ein Kernmodell aus drei Komponenten: eine warme Hülle (etwa 50 Kelvin) mit einem Radius von rund 450 Lichtjahren, worin eine Scheibe mit einem Radius von 130 Lichtjahren als zweite Komponente liegt. Darin wiederum befindet sich ein viel wärmerer (circa 100 Kelvin) kompakter Kern mit einem Radius von etwa 40 Lichtjahren.
Diese drei Komponenten alleine emittierten fast 70 Prozent der Strahlung der Galaxie aus Sternentstehungsprozessen, die Sterne mit insgesamt etwa 18 Sonnenmassen pro Jahr erzeugen (die Milchstraßen-Galaxie bildet durchschnittlich einen pro Jahr). Die Massenzuwachsrate in die Region ist ungefähr so hoch wie die Sternentstehungsrate – circa 18 Sonnenmassen pro Jahr.
Neben diesen Schlussfolgerungen über die Kernregion nutzen die Astronomen ihre am besten passenden Ergebnisse, um erfolgreich 17 andere Molekülarten (außer Wasser) zu modellieren, die in den ferninfraroten Spektren beobachtet wurden, darunter ionisierte Moleküle sowie kohlenstoff- und stickstoffhaltige Moleküle.
Die kombinierten Ergebnisse, insbesondere die extrem hohe Häufigkeit an ionisierten Molekülen, lässt auf die starke Präsenz von ionisierenden kosmischen Strahlen schließen und wirft Licht auf die Chemie der komplexen Kernzone.
Abhandlung: „A Proto-Pseudobulge in ESO 320-G030 Fed by a Massive Molecular Inflow Driven by a Nuclear Bar“ von Eduardo González-Alfonso, Miguel Pereira-Santaella, Jacqueline Fischer, Santiago García-Burillo, Chentao Yang, Almudena Alonso-Herrero, Luis Colina, Matthew L. N. Ashby, Howard A. Smith, Fernando Rico-Villas, Jesús Martín-Pintado, Sara Cazzoli und Kenneth P. Stewart, Astronomy & Astrophysics, 645, 49, 2021.
(THK)
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