Molekülwolken in der Milchstraßen-Galaxie sind allgemein sehr ineffizient bei der Bildung neuer Sterne: Nur etwa ein Prozent des verfügbaren Materials endet in einem Stern. Astronomen vermuten, dass ein Grund dafür darin liegen könnte, dass die sternbildenden Kerne durch den Druck von turbulenten, überschallschnellen Gasbewegungen am Gravitationskollaps gehindert werden.
Vor vier Jahrzehnten bemerkten Wissenschaftler, dass sich die turbulenten Gasbewegungen in Wolken mit zunehmender Wolkengröße zu verringern schienen. Die Korrelation wurde für die Argumentation verwendet, dass in kleinen, räumlichen Maßstäben (wo das Gas bereit für den Kollaps ist) die überschallschnelle Turbulenz verschwunden ist. Dieses Verhalten würde mit neueren Beobachtungen im Ferninfrarotbereich übereinstimmen, laut denen Sterne dazu tendieren, sich entlang begrenzter Filamentstrukturen zu entwickeln. Diese kleinen Strukturen wären schwer zusammenzuhalten, wenn sie schnelles, turbulentes Gas enthielten.
Zumindest ist das die Geschichte bei massearmen Sternen. Beobachtungen junger, massereicher Sterne scheinen jedoch zur gegenteiligen Schlussfolgerung zu kommen. In vielen kleinen Kernen, wo Protosterne mit hoher Dichte und Masse entstehen, zeigte das Gas überschallschnelle Bewegungen. Dieses Resultat ergab ein Modell, in denen massereiche Sterne genau dort entstehen, wo die Gasturbulenzen die Entstehung massearmer Sterne verhindern – bis genug Masse für die Entstehung massereicher Sterne angesammelt werden kann.
Massereiche Sterne beeinflussen die galaktische Umgebung in entscheidender Art und Weise: Ihre energiereiche Strahlung ionisiert das interstellare Medium und ihr Tod als Supernovae reichert das Medium mit schweren Elementen an. Aufgrund der kosmischen Bedeutung massereicher Sterne untersuchen Astronomen die Unsicherheiten sowohl in den Beobachtungen als auch in den Schlussfolgerungen.
Die Astronomen Shanghuo Li, Qizhou Zhang, Howard Smith, Joe Hora und Shaye Strom vom Harvard-Smithsonian Center for Astrophysics (CfA) leiteten eine Studie zur Sternentstehung in der Riesenmolekülwolke NGC 6334S. Als Teil eines viel größeren Sternentstehungskomplexes ist NGC 6334S ungewöhnlich, weil sie keine massereichen Sterne bildet, obwohl sie alle richtigen Voraussetzungen zu haben scheint. Die Astronomen nutzten die ALMA und JVLA Teleskopnetzwerke, um hochauflösende Bilder von 49 dichten Kernen entlang Filamenten in der Wolke zu machen, wobei die Kerne jeweils bis zu 14 Sonnenmassen aufwiesen. Die räumliche Auflösung der Bilder beträgt 0,07 Lichtjahre; die Auflösung der Geschwindigkeiten liegt bei 0,2 km/s.
Die Beobachtungen konnten die Strukturen in einzelne Quellen auflösen und entdecken, dass scheinbar turbulente Gasbewegungen mit hohen Geschwindigkeiten in Wirklichkeit die Folge von zwei oder mehr verschiedenen Gasvolumina waren, die sich mit leicht unterschiedlichen Geschwindigkeiten bewegten. Sie schienen nur turbulent zu sein, wenn die verschiedenen Quellen überlagert waren. Tatsächlich waren die normalen Gasbewegungen sehr ähnlich zu jenen, die bei der Entstehung massearmer Sterne beobachtet wurden.
Die Wissenschaftler argumentieren, dass die in früheren Studien verwendete geringere Auflösung zu der inkorrekten Schlussfolgerung führte, dass das Gas überschallschnell war, obwohl die Quellen stattdessen nur aus mehreren Unterstrukturen bestanden. Eine Folge dieses Ergebnisses ist, dass der von außen auf den Kern ausgeübte Druck (nicht die inneren Gasbewegungen) eine Schlüsselrolle bei der Entwicklung massereicher, dichter, protostellarer Kerne spielt.
Abhandlung: „ALMA observations of NGC 6334S I: Forming Massive Stars and Cluster in Subsonic and Transonic Filamentary Clouds“ von Shanghuo Li, Qizhou Zhang, Hauyu Baobab Liu, Henrik Beuther, Aina Palau, Josep Miquel. Girart, Howard Smith, Joseph L. Hora, Yuxing Lin, Keping Qiu, Shaye Strom, Junzhi Wang, Fei Li und Nannan Yue, The Astrophysical Journal, 2021 (in press).
(THK)
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