Ein extremes Sternsystem verleiht dem Begriff „hohe Brandung“ eine ganz neue Bedeutung: Das Sternsystem erstaunte Forscher, weil es der bislang dramatischste „Heartbeat-Stern“ ist. Jetzt haben neue Modelle gezeigt, dass sich gewaltige, gezeitenbedingte Wellen wiederholt auf einem der Sterne in dem System brechen. Das ist das erste Mal, dass dieses Phänomen auf einem Stern beobachtet wurde.
Heartbeat-Sterne sind enge Sternpaare, deren Helligkeit periodisch pulsiert, ähnlich wie der Rhythmus eines schlagenden Herzens auf einem Elektrokardiogramm. Die Sterne in Heartbeat-Systemen bewegen sich auf länglichen, ovalen Umlaufbahnen. Wenn sie nah aneinander vorbeiziehen, erzeugen die Gravitationskräfte Gezeiten – so wie der Mond die Meeresgezeiten auf der Erde verursacht. Die Gezeiten dehnen und verzerren die Formen der Sterne und verändern die Menge des sichtbaren Sternlichts, das von ihnen emittiert wird, weil abwechselnd ihre breite oder schmale Seite der Erde zugewandt ist.
Eine neue Studie erklärt, warum die Helligkeitsschwankungen von einem besonders hellen Heartbeat-System 200 Mal größer sind als bei typischen Heartbeat-Sternen. Der Grund: Gigantische Wellen, die über den größeren Stern rollen, wenn sein kleinerer Begleitstern ihm regelmäßig nahekommt. Diese Gezeitenwellen erreichen der Studie zufolge so enorme Größen und Geschwindigkeiten, dass die Wellen ähnlich wie Ozeanwellen brechen und zurück auf die Oberfläche des größeren Sterns stürzen.
Das System bietet einen nie dagewesenen Blick darauf, wie massereiche Sterne miteinander interagieren. „Jeder Zusammenbruch der gigantischen Gezeitenwellen des Sterns setzt genug Energie frei, um unseren gesamten Planeten mehrere Hundert Male zu verdampfen“, sagte Morgan MacLeod, ein Postdoktorand in theoretischer Astrophysik am Center for Astrophysics | Harvard & Smithsonian (CfA). Er ist Co-Autor einer neuen Studie, die im Journal Nature Astronomy veröffentlicht wurde und die Ergebnisse beschreibt. „Dies sind wirklich große Wellen.“
„Brechende Wellen auf Sternen sind genau so schön wie jene an den Stränden unserer Meere“, sagte Avi Loeb, der Doktorvater von MacLeod, Direktor des Institute for Theory and Computation am CfA und der zweite Autor der Studie. Heartbeat-Sterne wurden erstmals beobachtet, als das Weltraumteleskop Kepler ihre verräterischen, normalerweise kleinen Helligkeitsschwankungen registrierte.
Der extreme Heartbeat-Stern ist jedoch alles andere als klein. Der größere Stern des Systems besitzt fast 35 Sonnenmassen und wird zusammen mit seinem kleineren Begleitstern offiziell als MACHO 80.7443.1718 bezeichnet – nicht wegen irgendwelcher stellarer Muskelspiele, sondern weil die Helligkeitsveränderungen des Systems erstmals vom MACHO-Projekt in den 1990er Jahren aufgezeichnet wurden. Das MACHO-Projekt suchte nach Anzeichen für Dunkle Materie in unserer Galaxie.
Die Helligkeit der meisten Heartbeat-Sterne variiert nur um etwa 0,1 Prozent, aber MACHO 80.7443.1718 sprang den Astronomen mit seinen beispiellosen Helligkeitsschwankungen um plusminus 20 Prozent förmlich ins Auge. „Wir kennen keinen anderen Heartbeat-Stern, der so stark schwankt“, sagte MacLeod.
Um das Rätsel zu entschlüsseln, erschuf MacLeod ein Computermodell von MACHO 80.7443.1718. Sein Modell zeigte, wie die wechselwirkende Gravitation der beiden Sterne massive Gezeiten auf dem größeren Stern auslöst. Die resultierenden Gezeitenwellen erheben sich bis zu etwa einem Fünftel des Radius des Riesensterns. Sie sind so hoch wie drei Sonnen übereinander und erreichen eine Höhe von gut 4,3 Millionen Kilometern.
Die Simulationen zeigen, dass die gewaltigen Wellen als sanfte und geordnete Wogen beginnen, genau wie Ozeanwellen, bevor sie brechen. Wie Strandgänger wissen, erzeugen stark brechende Meereswellen Gischt und Blasen und hinterlassen ein großes, schaumiges Chaos, wo einst eine sanfte Welle war, sagte MacLeod. Die riesigen Mengen freigesetzter Energie der brechenden Wellen auf MACHO 80.7443.1718 haben MacLeods Modell zufolge zwei Auswirkungen: Sie drehen die stellare Oberfläche immer schneller und katapultieren stellares Gas nach außen, um eine rotierende und leuchtende stellare Atmosphäre zu bilden.
Ungefähr einmal im Monat passieren die Sterne einander und eine neue Riesenwelle wälzt sich über die Oberfläche des Heartbeat-Sterns. Diese Bewegung führte dazu, dass die Äquatorausdehnung des größeren Sterns in MACHO 80.7443.1718 um 50 Prozent größer ist als seine Polausdehnung. Und mit jeder neuen passierenden Welle wird mehr Materie nach außen katapultiert, so wie rotierender Pizzarand Käse und Soße verliert, sagte MacLeod. Das charakteristische Leuchten dieser Atmosphäre war einer der Schlüsselhinweise dafür, dass die Wellen auf der Oberfläche des Sterns brechen.
So beispiellos wie MACHO 80.7443.1718 sein mag, er ist wahrscheinlich nicht einmalig. Von den fast 1.000 bislang entdeckten Heartbeat-Sternen zeigen 20 starke Helligkeitsschwankungen, die an jene des von MacLeod und Loeb simulierten Systems heranreichen. „Dieser Heartbeat-Stern könnte nur der erste in einer wachsenden Klasse astronomischer Objekte sein“, sagte MacLeod. „Wir planen schon eine Suche nach weiteren Heartbeat-Sternen und suchen nach den leuchten Atmosphären, die von ihren brechenden Wellen fortkatapultiert wurden.“
Nach Berücksichtigung aller Daten meint MacLeod, dass wir Glück hatten, den Stern in dieser Phase zu sehen. „Wir beobachten einen kurzen und transformativen Moment in einer langen stellaren Lebenszeit.“ Durch die Beobachtung der kolossalen Wellen auf einer stellaren Oberfläche hoffen Astronomen Erkenntnisse darüber zu gewinnen, wie enge Wechselwirkungen die Entwicklung von Sternpaaren beeinflussen.
(THK)
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