Das LHCb-Experiment am CERN hat ein Faible für die Entdeckung exotischer Quark-Kombinationen, jenen Elementarteilchen, aus denen die zusammengesetzten Teilchen wie die bekannteren Protonen und Neutronen bestehen. Insbesondere hat das LHCb-Experiment verschiedene Tetraquarks beobachtet, die – wie der Name vermuten lässt – aus vier Quarks bestehen (oder zwei Quarks und zwei Antiquarks).
Die Beobachtung dieser ungewöhnlichen Teilchen hilft Wissenschaftlern, unser Wissen über die starke Wechselwirkung zu verbessern – eine der vier bekannten Grundkräfte im Universum. Im Rahmen eines CERN-Seminars, das am 12. August 2020 online abgehalten wurde, gab die LHCb Collaboration die ersten Anzeichen für einen völlig neuen Tetraquark-Typ mit einer Masse von 2,9 GeV/c2 bekannt. Es ist das erste Teilchen dieser Art mit nur einem Charmquark.
Erstmals im Jahr 1964 vorausgesagt, haben Wissenschaftler sechs Quarktypen (und deren Antiquarks) im Labor beobachtet: Up, Down, Charm, Strange, Top und Bottom. Weil Quarks nicht frei existieren können, gruppieren sie sich, um zusammengesetzte Teilchen zu bilden: Drei Quarks oder drei Antiquarks bilden Baryonen wie das Proton, während ein Quark und ein Antiquark Mesonen bilden.
Der LHCb-Detektor am Large Hadron Collider (LHC) widmet sich der Untersuchung von B-Mesonen, die entweder ein Bottomquark oder ein Anti-Bottomquark enthalten. Kurz nach der Entstehung in Proton-Proton-Kollisionen am LHC zerfallen diese schweren Mesonen in eine Vielzahl leichterer Teilchen, die ihrerseits weiter zerfallen können. Wissenschaftler des LHCb-Experiments beobachteten Anzeichen für das neue Tetraquark in einem solchen Zerfallsprozess. Dabei zerfiel das positiv geladene B-Meson in ein positives D-Meson, ein negatives D-Meson und ein positives Kaon: B+→D+D–K+. Insgesamt untersuchten sie rund 1.300 Kandidaten für diesen besonderes Umwandlungsprozess in den Daten, die der LHCb-Detektor bisher aufgezeichnet hat.
Das gängige Quarkmodell sagt voraus, dass einige der D+D–-Paare in diesem Zerfallsprozess das Ergebnis von Übergangsteilchen wie dem ψ(3770)-Meson sein könnten, die sich nur für einen Moment manifestieren: B+→ψ(3770)K+→D+D–K+. Die Theorie sagt jedoch keine mesonähnliche Zwischenstufen voraus, die in einem D–K+-Paar resultieren. Die LHCb Collaboration war deshalb überrascht, ein deutliches Band in ihren Daten zu sehen, das mit einem Zwischenstadium übereinstimmt, welches in ein D–K+-Paar mit der Masse von circa 2,9GeV/c2 zerfällt, was etwa der dreifachen Protonenmasse entspricht.
Die Daten wurden als der erste Hinweis auf einen neuen exotischen Zustand aus vier Quarks interpretiert: ein Charm-Antiquark, ein Up-Quark, ein Down-Quark und ein Strange-Antiquark (c̄uds̄). Alle früheren vom LHCb-Experiment beobachteten tetraquarkähnlichen Zustände besaßen ein Charm-Anticharm-Paar, was in einem Charm-Flavour Netto-Null resultierte. Der kürzlich beobachtete Zustand ist das erste Mal, dass ein Tetraquark mit einem einzelnen Charm-Quark registriert wurde, bezeichnet als Open-Charm-Tetraquark.
„Als wir das Übermaß in unseren Daten erstmals sahen, dachten wir, dass es einen Fehler gibt“, sagte Dan Johnson, der Leiter der LHCb-Analyse. „Nach Jahren der Datenanalyse akzeptierten wir, dass es dort wirklich etwas Überraschendes gibt.“
Warum ist das wichtig? Man weiß noch nicht genau, was ein Tetraquark wirklich ist. Einige theoretische Modelle favorisieren die Ansicht, dass Tetraquarks Paare aus einzelnen Mesonen sind, die vorübergehend als ein „Molekül“ gebunden sind. Andere Modelle bevorzugen die Denkweise, dass es sich um eine einzelne kohäsive Einheit aus vier Teilchen handelt.
Die Identifizierung neuer Arten von Tetraquarks und die Messung ihrer Eigenschaften wie ihrem Quantenspin (ihre innere räumliche Ausrichtung) und ihrer Parität werden helfen, ein klareres Bild dieser exotischen Bewohner des subatomaren Reichs zu zeichnen. „Diese Entdeckung wird uns auch ermöglichen, unsere Theorien in einem völlig neuen Bereich zu überprüfen.“
Obwohl die LHCb-Beobachtung ein wichtiger erster Schritt ist, werden weitere Daten benötigt, um die Natur der beim B+-Zerfall registrierten Struktur zu verifizieren. Die LHCb Collaboration hofft auch auf unabhängige Bestätigungen ihrer Entdeckung von anderen Experimenten wie Belle II. In der Zwischenzeit liefert der LHC weiterhin neue und spannende Ergebnisse, die Experimentalphysiker und Theoretiker untersuchen können.
(THK)
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