Erschaffen durch ein elektronisches Tauziehen zwischen den atomaren Schichten des Materials, könnte das fischgrätenähnliche Muster einzigartige Merkmale hervorbringen, die Wissenschaftler gerade erst zu erforschen beginnen.
Wissenschaftler des SLAC National Accelerator Laboratory und der Stanford University haben eine neue Art Quantenmaterial erschaffen, dessen atomares Gitter stark in ein fischgrätenähnliches Muster verzerrt wurde.
Die resultierenden Verzerrungen sind verglichen mit jenen in anderen Materialien „gigantisch“, sagte der Studienleiter Woo Jin Kim, ein Postdoktorand am Stanford Institute for Materials and Energy Sciences (SIMES) des SLAC National Accelerator Laboratory.
„Das ist ein sehr grundlegendes Ergebnis, daher ist es schwer, Vorhersagen darüber zu treffen, was schließlich daraus werden könnte, aber die Möglichkeiten sind aufregend“, sagte der SIMES-Direktor Harold Hwang.
„Basierend auf theoretischen Modellen von Mitgliedern unseres Teams sieht es so aus, als habe das neue Material verblüffende magnetische, orbitale und Ladungsordnungseigenschaften, die wir weiter untersuchen möchten“, sagte er. Das sind einige der Eigenschaften, von denen Wissenschaftler annehmen, dass sie Quantenmaterialien ihre überraschenden Merkmale geben.
Das Forschungsteam beschreibt seine Arbeit in einer Studie, die am 22. Februar 2023 im Journal Nature erschien.
Das Material mit fischgrätenähnlichem Muster ist die erste Demonstration des sogenannten Jahn-Teller-Effekts in einem geschichteten Material mit einem flachen, ebenen Gitter. Es gleicht einem Hochhaus mit Stockwerken in regelmäßigen Abständen.
Der Jahn-Teller-Effekt bezieht sich auf das Dilemma, das ein Elektron erfährt, wenn es sich einem Ion nähert (einem Atom, dem eines oder mehrere Elektronen fehlen).
Genau wie ein Ball, der auf dem Boden entlangrollt, in einer Vertiefung zur Ruhe kommen wird, wird das Elektron den freien Platz in den Elektronenschalen des Atoms einnehmen, der den niedrigsten Energiezustand hat. Aber manchmal gibt es zwei freie Plätze mit gleich niedrigen Energiezuständen. Was dann?
Wenn das Ion in ein Molekül oder in einen Kristall eingebettet ist, verzerrt der Jahn-Teller-Effekt das umgebende Atomgitter auf eine Art und Weise, die nur einen freien Platz mit dem niedrigsten Energiezustand zulässt, was das Problem des Elektrons löst.
Und wenn das gesamte Kristallgitter aus Jahn-Teller-Ionen besteht, verzerrt sich in manchen Fällen die komplette Kristallstruktur, so dass das Dilemma des Elektrons für alle Ionen gelöst wird. Das passierte in dieser Studie.
„Der Jahn-Teller-Effekt erzeugt starke Wechselwirkungen zwischen den Elektronen und zwischen den Elektronen und dem Gitter“, sagte Hwang. „Man vermutet, dass dies Schlüsselrollen bei der Physik einer Reihe von Quantenmaterialien sind.“
Der Jahn-Teller-Effekt wurde bereits bei einzelnen Molekülen und bei 3D-Kristallmaterialien demonstriert, die aus Ionen in oktaedrischen oder tetraedrischen Strukturen angeordnet sind. Jahn-Teller-Oxide basierend auf Mangan oder Kupfer zeigen tatsächlich einen kolossalen magnetoresistiven Effekt und Hochtemperatursupraleitung. Das führte Wissenschaftler zu der Frage, was in Materialien passieren würde, die auf anderen Elementen basieren oder eine andere Struktur besitzen.
In dieser Studie verwandelten die Forscher ein Material aus Kobalt, Calcium und Sauerstoff (CaCoO2.5), das eine andere Schichtung aus oktaedrischen und tetraedrischen Schichten besitzt und als Brownmillerit bekannt ist, in ein geschichtetes Material (CaCoO2), an dem der Jahn-Teller-Effekt ansetzen konnte. Dafür nutzten sie einen chemischen Trick, der vor ein paar Jahren am SIMES entwickelt wurde, um den ersten Supraleiter aus Nickeloxid zu erschaffen.
Kim synthetisierte einen dünnen Film Brownmillerit und entfernte chemisch einzelne Schichten aus Sauerstoffatomen aus dem Gitter, ähnlich wie Spieler vorsichtig Blöcke aus einem Jenga-Turm ziehen. Das Gitter kollabierte und nahm eine flache, ebene Konfiguration mit abwechselnden Schichten aus negativ geladenen Kobalt-Ionen (den Jahn-Teller-Ionen) und positiv geladenen Calcium-Ionen an.
Kim zufolge versuchte jedes Kobalt-Ion die Calcium-Ionen aus den Schichten darunter und darüber anzuziehen. „Dieses Tauziehen zwischen benachbarten Schichten führte zu einem schönen Verzerrungsmuster, das den besten und harmonischsten Kompromiss zwischen den beteiligten Kräften widerspiegelte. Und die resultierenden Gitterverzerrungen sind riesig, verglichen mit jenen in anderen Materialien – sie entsprechen 25 Prozent der Distanz zwischen den Ionen in dem Gitter.“
Hwang sagte, das Forschungsteam werde diese bemerkenswerte neue Elektronenkonfiguration mit Röntgeninstrumenten am SLAC und anderswo untersuchen. „Wir fragen uns auch, was passieren würde, wenn wir dieses Material ‚dopen‘ können – dabei werden einige Atome durch andere ersetzt, um die Anzahl der freien Elektronen zu verändern. Es gibt viele spannende Möglichkeiten.“
Forscher der Cornell University, des Pohang Accelerator Laboratory in South Korea und des Center for Nanoscale Materials Sciences (einer wissenschaftlichen Einrichtung am Oak Ridge National Laboratory) wirkten ebenfalls an der Studie mit. Sie erhielt finanzielle Mittel vom Office of Science des US-Energieministeriums und der Emergent Phenomena in Quantum Systems Initiative der Gordon and Betty Moore Foundation.
(THK)
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