Obwohl Papierwespen Gehirne besitzen, deren Größe weniger als einem Millionstel eines menschlichen Gehirns entspricht, haben sie spezialisierte Gesichtserkennungsfähigkeiten entwickelt, analog zu dem von Menschen verwendeten System. Zu diesem Ergebnis kommen eine Evolutionsbiologin der University of Michigan in Ann Arbor und einer ihrer Studenten.
„Wespen und Menschen haben unabhängig voneinander ähnliche und sehr spezialisierte Gesichtserkennungsmechanismen entwickelt, trotz der Tatsache, dass die Gehirnstrukturen und die Art zu sehen unterschiedlich ist“, sagte der Student Michael Sheehan, der mit der Evolutionsbiologin Elizabeth Tibbetts an der Gesichtserkennungs-Studie arbeitete. „Das ist überraschend und etwas bizarr.“
„Die Studie stellt das erste Mal dar, dass irgendein Insekt solch ein hohes Maß von virtuellem Lernen demonstriert hat“, sagte Sheehan, der leitende Autor einer Abhandlung über das Thema, die am 1. Dezember online im Journal Science veröffentlicht wurde.
In einer früheren Forschungsarbeit zeigte Tibbetts, dass Papierwesepen (Polistes fuscatus) Individuen ihrer eigenen Art an Variationen in ihren Gesichtsmerkmalen erkennen und dass sie gegenüber Wespen mit fremden, nicht vertrauten Gesichtern aggressiver sind.
Im Jahre 2008 veröffentlichten Sheehan und Tibbetts eine Studie in Current Biology, in der sie zeigten, dass diese Wespen ein überraschend langes Gedächtnis haben und dass ihr Verhalten auf früheren sozialen Interaktionen mit anderen Wespen basiert.
In ihrer neusten Studie testeten Sheehan und Tibbetts die Lernfähigkeit, indem sie Wespen darauf trainierten, zwischen zwei verschiedenen Bildern innerhalb eines T-Labyrinths zu unterscheiden, wobei jedes Bild am Ende des oberen T-Arms platziert war.
Zwölf Wespen wurden auf 40 aufeinander folgende Versuche für jeden Bildtyp trainiert. Die Bildpaare enthielten Fotos von Gesichtern normaler Papierwespen, Fotos von Raupen, einfache geometrische Formen und Wespengesichter, die per Computer verändert wurden. Mit einem Bild des Paares war immer eine Belohnung verbunden.
Die Forscher fanden heraus, dass die Papierwespen – visuelle Jäger von Raupen – in der Lage waren, zwischen zwei unveränderten P.fuscatus-Gesichtern schneller und genauer zu unterscheiden, als zwischen einem Paar Raupen-Fotos, zwei unterschiedlichen geometrischen Formen, oder einem Paar veränderter Wespen-Gesichter. Sie lernten, das korrekte, unveränderte Wespengesicht in drei Viertel der Zeit auszusuchen.
„Zwei einfache, schwarzweiße geometrische Formen sollten für die Wespe leicht zu unterscheiden sein, weil die Facettenaugen des Insekts Konturen und Kontrast gut erkennen können“, sagte Sheehan. Trotzdem erkannten die Wespen komplizierte Gesichtsbilder schneller als die geometrischen Formen.
Gleichzeitig verursachte die Einbringung von scheinbar geringen Veränderungen in ein Gesichtsbild von P.fuscatus (beispielsweise wurden mittels eines Bildverarbeitungsprogramms die Antennen der Wespen entfernt) bei den Testsubjekten ein deutlich schlechteres Abschneiden bei dem Gesichtserkennungstest.
„Das zeigt, dass die Art, wie sie Gesichter erkennen, sich von der Art unterscheidet, wie sie andere Formen zu erkennen scheinen. Sie behandeln Gesichter anders“, sagte Sheehan.
„Menschen besitzen eine spezialisierte Gesichtserkennungsfähigkeit und es stellt sich heraus, dass diese Wespe, die an der Seite unserer Häuser lebt, selbst ein vergleichbares System entwickelt hat“, sagte er. „Aber es wichtig zu betonen, dass wir nicht behaupten, der exakte Prozess, wie Wespen Gesichter erkennen sei derselbe wie bei Menschen.“
Die Fähigkeit Individuen zu erkennen ist wichtig für eine Spezies wie P.fuscatus, bei der mehrere Königinnen Gemeinschaftsnester aufbauen und die Nachkommen gemeinsam aufziehen, aber auch um die Ausbildung einer linearen Dominanzhierarchie konkurrieren. Sich daran zu erinnern, wen sie schon übertroffen haben – und von wem sie übertroffen wurden – bewahrt die Individuen davor, Energie für wiederholte aggressive Begegnungen zu verschwenden und fördert vermutlich die Stabilität der Kolonie durch die Verminderung von Spannungen.
Sheehan testete ebenfalls eine eng verwandte Wespenart, P.metricus, denen die zahlreichen Gesichtsmerkmale der Papierwespe fehlen und die in Kolonien leben, welche von einer einzigen Königin kontrolliert werden. In dem T-Labyrinth-Test schnitt P.metricus nicht besser als der Zufall ab, wenn sie zwischen Individuen ihrer eigenen Art unterscheiden sollte.
„Unterschiede bei der Gesichtserkennung zwischen den beiden Arten können nicht auf allgemeine Unterschiede beim visuellen Lernen zurückgeführt werden, weil beide Spezies gelernt haben, mit derselben Geschwindigkeit und derselben Genauigkeit zwischen Paaren künstlicher Formen und Raupen zu unterscheiden“, schrieben Sheehan und Tibbetts. „P.fuscatus und P.metricus unterschieden sich nur in ihrer Fähigkeit, normale Gesichter zu erkennen.“
„Die evolutionäre Flexibilität von spezialisierter Gesichtserkennung ist beachtlich und deutet darauf hin, dass spezialisierte Erkennung eine weit verbreitete Anpassung sein könnte, um komplexe Verhaltensaufgaben wie die individuelle Wiedererkennung zu erleichtern“, schrieben sie.
Finanzielle Unterstützung für das Projekt wurde Sheehan von der University of Michigan und einem E.S. George Reserve Scholarship bereitgestellt.
(THK)
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