Revolutionäres Modell könnte die Natur Dunkler Materie erklären

Are Raklev, der führende Theoretiker für Astroteilchenphysik an der University of Oslo, hat ein mathematisches Modell vorgestellt, das erklären könnte, woraus Dunkle Materie besteht. (Photo: Yngve Vogt)
Are Raklev, der führende Theoretiker für Astroteilchenphysik an der University of Oslo, hat ein mathematisches Modell vorgestellt, das erklären könnte, woraus Dunkle Materie besteht. (Photo: Yngve Vogt)

Das Universum ist voll von Dunkler Materie, aber niemand weiß, woraus sie besteht: Physiker der University of Oslo haben jetzt eine sehr komplexe mathematische Erklärung vorgestellt, die das Rätsel ein für alle Mal lösen könnte.

Astrophysiker wissen seit 80 Jahren, dass der Großteil des Universums aus einer unbekannten, dunklen Materie besteht. Des Rätsels Lösung könnte jetzt in greifbarer Nähe sein. „Wir suchen nach einem neuen Mitglied für unseren Teilchen-Zoo, um Dunkle Materie zu erklären. Wir wissen, dass es ein sehr exotisches Biest ist. Und wir haben eine plausible Erklärung gefunden“, berichtet Are Raklev, ein außerordentlicher Professor für Teilchenphysik am Department of Physics der University of Oslo.

Er ist der führende Theoretiker für Astroteilchenphysik und hat ein Modell vorgestellt, das erklärt, woraus Dunkle Materie bestehen könnte und wie man die unsichtbaren Teilchen experimentell entdecken kann. Obwohl Dunkle Materie unsichtbar ist, wissen Physiker, dass sie existiert. Ohne diese Dunkle Materie ist es unmöglich zu erklären, wie die sichtbaren Dinge im Universum zusammenhängen.

Ein 80 Jahre währender Kampf

Der weltberühmte Schweizer Physiker Fritz Zwicky spekulierte bereits in den 1930er Jahren darüber, was Dunkle Materie sein könnte. Astrophysiker haben berechnet, dass 80 Prozent der gesamten Masse im Universum dunkle, unsichtbare Materie ist. Dank der Gravitation klumpt diese Dunkle Materie zusammen wie gewöhnliche Materie. Dunkle Materie kann erklären, warum sich Sterne so bewegen, wie sie es tun. Dunkle Materie könnte auch die Rotationsgeschwindigkeit von Galaxien erklären.

„Obwohl wir berechnen können, wie viel Dunkle Materie im Universum vorhanden ist, wissen wir immer noch wenig darüber, was Dunkle Materie ist. Die Teilchen der Dunklen Materie müssen entweder viel Masse besitzen, oder es muss sehr viele von ihnen geben. Neutrinos erfüllen alle Voraussetzungen der Dunklen Materie, aber es gibt ein großes Problem: Sie besitzen eine viel zu kleine Masse.“

Are Raklev versucht jetzt zu beweisen, dass Dunkle Materie aus Gravitinos besteht. Das ist ein Teilchen, das jahrelang ungerecht behandelt wurde. Und was genau sind Gravitinos? Festhalten: Gravitinos sind die supersymmetrischen Partner von Gravitonen. Oder, um sogar noch präziser zu sein: „Das Gravitino ist der hypothetische, supersymmetrische Partner des hypothetischen Graviton-Teilchens, also ist es auch unmöglich, ein noch hypothetischeres Teilchen als dieses vorherzusagen“, lacht Raklev, der auf seiner Website schreibt, dass er sowohl unter seinem Sofa als auch an anderen Orten nach dunklem Material sucht.

Um besser zu ergründen, warum Raklev glaubt, dass Dunkle Materie aus Gravitinos besteht und um die Theorie hinter den Gravitinos zu verstehen, muss Apollon ein paar Schritte zurückgehen. (Anm. d. Red.: Apollon ist der Name des vierteljährlich erscheinenden Forschungsmagazins der University of Oslo, in dem dieser Artikel erschienen ist, siehe den Link zur englischen Originalquelle unten.)

Der kosmische Gammastrahlungshintergrund, basierend auf Daten des Weltraumteleskops Fermi. (NASA / Fermi / LAT Collaboration)
Der kosmische Gammastrahlungshintergrund, basierend auf Daten des Weltraumteleskops Fermi. (NASA / Fermi / LAT Collaboration)

Das obige Bild zeigt alle vom Weltraumteleskop Fermi aufgezeichneten Gammastrahlungsquellen als Karte des gesamten Universums. Das rote Band in der Mitte ist die Strahlung aus unserer eigenen Galaxie. Das Zentrum der Milchstraße liegt fast in der Bildmitte. „Hier gibt es einen kleinen Überschuss an Gammastrahlung, der nicht durch die Strahlung erklärt werden kann, die man von gewöhnlicher Materie erwartet. Dieser Überschuss ist für das Auge nicht sichtbar, aber kann durch zeitaufwändige Analysen erkannt werden“, sagt Are Raklev, der uns daran erinnert, dass die Analyse noch ein wenig unsicher ist.“

Schritt 1: Supersymmetrie

Physiker wollen herausfinden, ob die Natur supersymmetrisch ist oder nicht. Supersymmetrie bedeutet, dass es eine Symmetrie zwischen Materie und Kräften gibt. Für jeden Typ von Elektron und Quark gibt es einen entsprechend schweren, supersymmetrischen Partner. Die supersymmetrischen Teilchen wurden in dem Moment nach dem Urknall erschaffen. Wenn einige von ihnen bis heute überlebt haben, könnten sie das sein, woraus Dunkle Materie besteht. Der supersymmetrische Partner des Gravitinos ist – wie bereits erwähnt – das Graviton.

„Ein Graviton ist das Teilchen, von dem wir glauben, dass es gravitative Kräfte vermittelt – so wie ein Photon (das Lichtteilchen) elektromagnetische Kräfte vermittelt. Obwohl Gravitonen nichts wiegen, könnten sie schwerwiegende Bedeutung haben. Falls die Natur supersymmetrisch ist und Gravitonen existieren, dann existieren auch Gravitinos. Und umgekehrt. Das ist pure Mathematik.“ Allerdings gibt es einen kleinen Haken: Physiker können die Beziehung zwischen Gravitonen und Gravitinos nicht beweisen, bevor sie es geschafft haben, alle Naturkräfte zu vereinen.

Schritt 2: Die Naturkräfte

Eines der wichtigsten Vorhaben, das Physiker schaffen wollen ist es, alle Naturkräfte in einer einzigen Theorie zu vereinen. Mitte des letzten Jahrhunderts entdeckten Physiker, dass Elektrizität und Magnetismus Teile derselben Naturkraft sind. Die Kraft wird seitdem als Elektromagnetismus bezeichnet. Zwei andere Naturkräfte sind die starke und die schwache Wechselwirkung. Die schwache Wechselwirkung kann unter anderem in der Radioaktivität beobachtet werden. Die starke Wechselwirkung ist zehn Milliarden Mal stärker und bindet Neutronen und Protonen aneinander.

In den 1970er Jahren wurde der Elektromagnetismus mit der starken und der schwachen Wechselwirkung in einer Theorie vereinigt, die Physiker als das Standardmodell bezeichnen. Die vierte Naturkraft ist die Gravitation. Obwohl es sehr schmerzhaft ist, die Treppe herunterzufallen, ist die Gravitation die schwächste der vier Naturkräfte.

Das Problem ist, dass Physiker bislang nicht in der Lage waren, die Gravitation mit den anderen drei Naturkräften zu vereinen. An dem Tag, an dem Physiker ein umfassendes, vereinigtes Verständnis aller vier Naturkräfte erlangen, werden sie ein einzigartiges Verständnis der Welt gewinnen. Das wird es ermöglichen, alle vorstellbaren Interaktionen zwischen allen möglichen Teilchen in der Natur zu beschreiben. Physiker bezeichnen dies als die ToE (Theory of Everything).

„Um Gravitationskräfte mit den anderen drei Naturkräften zu vereinen, müssen wir Gravitation als Quantentheorie verstehen. Das bedeutet, wir brauchen eine Theorie, in der das Graviton-Teilchen in den Atomkernen eingeschlossen ist.“ Forscher suchen jetzt nach Anzeichen für Supersymmetrie und die ToE. Die Entdeckung des Gravitons wäre ein großer Schritt in diese Richtung.

Dunkle Materie enthüllen

Wie der Leser verstanden haben dürfte, ist es sehr schwierig, Dunkle Materie zu erforschen. Das liegt daran, dass Dunkle Materie keine elektromagnetischen Beziehungen zu terrestrischen Teilchen hat. Ein Beispiel für Dunkle Materie ist das schon erwähnte Neutrino. Unglücklicherweise machen Neutrinos nur einen unmerklich winzigen Teil der Dunklen Materie aus.

Obwohl es bisher nicht möglich war, Dunkle Materie zu beobachten, rasen jede Sekunde mehrere Milliarden Neutrinos durch unseren Körper. Trotzdem ist die Geschwindigkeit der Dunkle-Materie-Teilchen [selbst] begrenzt. Sie bewegen sich so langsam wie das Sonnensystem die Galaxie umkreist, mit etwa 400 Kilometern pro Sekunde.

„Wenn es keine elektromagnetischen Beziehungen mit sichtbaren Teilchen gibt, können die Teilchen uns durchdringen, ohne dass irgendwelche Messinstrumente sie registrieren. Hier kommt die Supersymmetrie ins Spiel. Wenn die Supersymmetrie korrekt ist, können Physiker erklären, warum es Dunkle Materie im Universum gibt. Das ist es, was Spaß an meiner Arbeit macht“, lacht Raklev.

Er behauptet nun, dass Dunkle Materie hauptsächlich aus Gravitinos besteht. „Supersymmetrie vereinfacht alles. Wenn die ToE existiert – mit anderen Worten, wenn es möglich ist, die vier Naturkräfte zu vereinen -, dann müssen Gravitinos existieren.“ Die Gravitinos entstanden direkt nach dem Urknall.

„Kurze Zeit nach dem Urknall hatten wir eine Suppe aus kollidierenden Teilchen. Gluonen, die Kraft vermittelnden Teilchen der starken Wechselwirkung, kollidierten mit anderen Gluonen und emittierten Gravitinos. Nach dem Urknall wurden viele Gravitinos gebildet, als das Universum noch aus Plasma bestand. Also haben wir eine Erklärung dafür, warum Gravitinos existieren.“

Veränderte Lebensspanne

Physiker haben Gravitinos bis jetzt als ein Problem angesehen. Sie haben geglaubt, dass die Theorie der Supersymmetrie nicht funktioniert, weil es zu viele Gravitinos gibt. „Physiker waren deshalb bestrebt, Gravitinos aus ihren Modellen zu eliminieren. Wir haben dagegen eine neue Erklärung gefunden, die das Supersymmetrie-Modell mit der Dunklen Materie vereinigt, welche aus Gravitinos besteht. Falls Dunkle Materie nicht stabil, sondern nur sehr langlebig ist, ist es möglich zu erklären, warum Dunkle Materie aus Gravitinos besteht.“

In den alten Modellen war Dunkle Materie immer unvergänglich. Das bedeutete, dass Gravitinos ein lästiger Teil des Supersymmetrie-Modells waren. In Raklevs neuem Modell ist ihre Lebensdauer nicht länger unendlich. Trotzdem ist die durchschnittliche Lebensdauer von Gravitinos sehr lang und tatsächlich sogar länger als das Alter des Universums.

Allerdings gibt es einen großen Unterschied zwischen einer unendlichen Lebensdauer und einer Lebensdauer von mehr als 15 Milliarden Jahren. Mit einer begrenzten Lebensdauer müssen die Gravitinos in andere Teilchen umgewandelt werden. Genau dieser Umwandlungseffekt kann gemessen werden. Und die Umwandlung erklärt das Modell.

„Wir glauben, dass fast die gesamte Dunkle Materie aus Gravitinos besteht. Die Erklärung dafür liegt in sehr komplexer Mathematik. Wir entwickeln spezielle Modelle, die die Auswirkungen dieser Theorien berechnen und wir sagen voraus, wie die Teilchen durch Experimente beobachtet werden können.“

Die Messungen sind im Gange

Forscher versuchen derzeit, dies experimentell zu überprüfen und zu erklären, warum diese neuen Teilchen noch nicht in den CERN-Experimenten in Genf (Schweiz) beobachtet wurden. „Andererseits sollte es theoretisch möglich sein, sie von einer Raumsonde aus zu beobachten.“

Der einfachste Weg zur Beobachtung von Gravitinos könnte die Untersuchung dessen sein, was passiert, wenn zwei Teilchen im Universum kollidieren und in andere Teilchen wie Photonen oder Antimaterie umgewandelt werden. Auch wenn die Kollisionen sehr selten stattfinden, gibt es doch so viel Dunkle Materie im Universum, dass eine signifikante Anzahl von Photonen produziert werden sollte.

Das große Problem ist, dass Gravitinos nicht kollidieren. „Zumindest geschieht es so selten, dass wir nicht darauf hoffen können, es zu beobachten.“ Dennoch gibt es Hoffnung. „Glücklicherweise sind Gravitinos nicht hundertprozentig stabil. Irgendwann werden sie in etwas anderes umgewandelt. Wir können voraussagen, wie das Signal aussehen wird, nachdem die Gravitinos umgewandelt wurden. Die Umwandlung wird eine kleine elektromagnetische Welle aussenden, einen Gammastrahl.“

Das Fermi-Weltraumobservatorium der NASA und sein Large Area Telescope (LAT) registrieren zurzeit Gammastrahlung. Mehrere Forschungsgruppen analysieren die Daten. „Bis jetzt haben wir nur Rauschen gesehen, aber eine der Forschungsgruppen gibt an, einen kleinen, verdächtigen Überschuss an Gammastrahlung aus dem Zentrum unserer Galaxie beobachtet zu haben. Ihre Beobachtungen könnten mit unseren Modellen übereinstimmen“, sagt der Mann hinter dem sehr komplizierten mathematischen Modell für Dunkle Materie, der außerordentliche Professor für theoretische Teilchenphysik Are Raklev.

Quelle: http://www.apollon.uio.no/english/articles/2012/4_dark_matter.html

(THK)

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