Um das wellenähnliche Verhalten von Quantenteilchen zu erklären, entwickelte der französische Physiker Louis de Broglie in den Anfangstagen der Quantenphysik die sogenannte „Theorie der Führungswelle“. De Broglie zufolge werden sich fortbewegende Teilchen wie Elektronen oder die Photonen in einem Lichtstrahl von einer Art Welle davongetragen, so wie Treibholz auf einem Fluss.
Das Unvermögen der Physiker, de Broglies vorhergesagte Wellen nachzuweisen, brachte sie größtenteils dazu, die Führungswellentheorie aufzugeben. Kürzlich wurde jedoch ein reales Führungswellensystem entdeckt, in dem ein Flüssigkeitstropfen über ein vibrierendes Flüssigkeitsbad hüpft, angetrieben von Wellen, die er durch seine eigenen Kollisionen erzeugte. Im Jahr 2006 nutzen die Physiker Yves Couder und Emmanuel Fort von der Université Paris Diderot dieses System, um eines der berühmtesten Experimente der Quantenphysik zu reproduzieren: das sogenannte Doppelspalt-Experiment, wobei Teilchen durch eine Barriere mit zwei Löchern auf einen Schirm gefeuert werden.
In der neuesten Ausgabe des Journals Physical Review E (PRE) berichtet ein Forschungsteam vom Massachusetts Institute of Technology (MIT) in Zusammenarbeit mit Couder und seinen Kollegen, dass sie das Flüssigkeits-Analogon eines anderen klassischen Quanten-Experiments produziert haben. In jenem Experiment sind Elektronen durch einen Ring aus Ionen auf ein kreisförmiges Gebiet begrenzt. Die hüpfenden Flüssigkeitstropfen des neuen Experiments bildeten das statistische Verhalten der Elektronen mit bemerkenswerter Genauigkeit nach.
„Dieses hydrodynamische System ist raffiniert und außergewöhnlich reichhaltig, was die mathematische Beschreibung betrifft“, sagte John Bush, ein Professor für angewandte Mathematik am MIT und mitwirkender Autor der neuen Studie. „Es ist das erste Führungswellensystem und und gibt Einblicke darin, wie rationale Quantendynamik dort funktionieren könnte, wo sie existiert.“
Zusammen mit Bush arbeiteten der leitende Autor Daniel Harris (ein Mathematik-Student am MIT), Couder und Fort, sowie Julien Moukhtar von der Université Paris Diderot an der PRE-Abhandlung mit. In separaten Abhandlungen, die diesen Monat im Journal of Fluid Mechanics erscheinen, erklären Bush und Jan Molacek (ein Doktorand der Mathematik am MIT) die Fluidmechanik, welche dem Verhalten des Systems zugrunde liegt.
Video-Link: https://youtu.be/RkJ2eqAqazI
Video mit weiterführenden Beschreibungen und Erklärungen zu den durchgeführten Experimenten. (MIT MathLab)
Interferenz-Schlussfolgerung
Das Doppelspalt-Experiment ist bahnbrechend, weil es die klarste Demonstration des Welle-Teilchen-Dualismus zeigt. Wie der theoretische Physiker Richard Feynman einmal sagte: „Es stellt sich heraus, dass jede andere Situation in der Quantenmechanik immer erklärt werden kann, indem man sagt ‚Erinnerst Du dich an das Experiment mit den beiden Löchern? Das ist dasselbe‘.“
Wenn eine Welle an der Wasseroberfläche auf ein Hindernis mit zwei Spalten darin trifft, werden auf der anderen Seite zwei Wellen erscheinen. Wo die Wellenberge dieser Wellen zusammentreffen, bilden sie eine größere Welle; wo ein Wellenberg auf ein Wellental trifft, ist die Flüssigkeit ruhig. Drucksensoren, die von den Wellen getroffen werden, würden ein „Interferenzmuster“ registrieren – eine Reihe abwechselnd heller und dunkler Bänder, welche darauf hinweisen, wo sich die Wellen verstärkt oder gegenseitig ausgelöscht haben. Photonen, die durch eine Barriere mit zwei Löchern auf einen Schirm gefeuert werden, erzeugen ein vergleichbares Interferenzmuster – sogar dann, wenn sie einzeln abgeschossen werden. Das ist der Welle-Teilchen-Dualismus: Die Mathematik der Wellenmechanik erklärt das statistische Verhalten sich fortbewegender Teilchen.
In den Experimenten befestigten die Forscher eine flache Schale mit einer kreisförmigen Vertiefung darin auf einem vibrierenden Gestell. Sie füllten die Schale mit einem Silikonöl und ließen sie mit einer Frequenz vibrieren, die gerade noch unterhalb der Frequenz lag, welche für die Erzeugung von Oberflächenwellen erforderlich ist. Dann ließen sie einen einzelnen Tropfen desselben Öls in das Bad fallen. Der Tropfen hüpfte auf und ab und produzierte Wellen, die ihn auf der Oberfläche bewegten.
Die von dem hüpfenden Tropfen erzeugten Wellen wurden von den Schalenwänden reflektiert, was den Tropfen innerhalb des Kreises hielt. Sie interagierten miteinander, um komplexe Muster zu bilden. Wenn der Tropfen von den Wellen abprallte, schien seine Bewegung komplett zufällig zu sein, aber mit der Zeit zeigte sich, dass er bestimmte Regionen in dem Bad anderen Regionen gegenüber bevorzugte. Er war am häufigsten nahe des Kreiszentrums anzutreffen, dann mit langsam abnehmender Häufigkeit in konzentrischen Ringen, deren Entfernung voneinander durch die Wellenlänge der Führungswelle bestimmt wurde. Die statistische Beschreibung der Position des Tropfens ist analog zu jener eines Elektrons, das auf ein kreisförmiges Quanten-„Gehege“ beschränkt ist und besitzt eine vergleichbare wellenähnliche Form.
„Das ist ein großartiges Ergebnis“, sagte Paul Milewski, ein Mathematik-Professor an der University of Bath (England), der sich auf Fluidmechanik spezialisiert hat. „Bezogen auf die Anzahl quantenmechanischer Analoga, die dieses mechanische System bereits demonstriert hat, ist es keine große Überraschung, dass das „Gehege“-Experiment sich ebenfalls wie Quantenmechanik verhält. Aber sie haben eine sehr sorgfältige Arbeit gemacht, weil es sehr genaue Messungen dieses Tropfens über eine sehr lange Zeitdauer erfordert, um seine Wahrscheinlichkeitsverteilung zu erfassen.“
„Wenn man ein deterministisches und – wie wir sagen – ‚chaotisches‘ System hat, das also empfindlich auf die Anfangsbedingungen reagiert und anfällig für Störungen ist, dann kann es sich statistisch verhalten“, ergänzte Milewski. „Experimente wie dieses waren den [damaligen] Giganten der Quantenmechanik nicht zugänglich. Sie wussten auch nichts über Chaos. Angenommen, diese Leute, die darüber rätselten, warum sich die Welt auf so seltsame statistische Weise verhält, hätten Zugang zu Experimenten wie diesem gehabt und Kenntnis vom Chaos, hätten sie eine äquivalente, deterministische Theorie der Quantenmechanik entwickelt, welche nicht die aktuelle ist? Das ist es, was ich aus der Quantenperspektive heraus aufregend finde.“
Quelle: http://web.mit.edu/newsoffice/2013/when-fluid-dynamics-mimic-quantum-mechanics-0729.html
(THK)
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