Das Eis auf dem Jupitermond Europa könnte mehr Wärme erzeugen als vermutet

Falschfarbenaufnahme der Oberfläche Europas. Das kleine Bild zeigt Regionen, in denen die Krustenplatten anscheinend aufgebrochen und an neue Positionen gedrückt wurden. (NASA / JPL)
Falschfarbenaufnahme der Oberfläche Europas. Das kleine Bild zeigt Regionen, in denen die Krustenplatten anscheinend aufgebrochen und an neue Positionen gedrückt wurden. (NASA / JPL)

Der Mond Europa ist ständig den gravitativen Angriffen Jupiters ausgesetzt: Bei seiner Umkreisung hebt und senkt sich die eisige Oberfläche Europas durch die Wirkung von Jupiters Gravitation. Das erzeugt nach Meinung von Wissenschaftlern genug Wärme, um einen globalen Ozean unter der festen Oberfläche des Mondes zu ermöglichen.

Jetzt deuten Experimente von Geowissenschaftlern der Brown University und der Columbia University darauf hin, dass dieser Prozess namens Gezeitendissipation weit mehr Wärme in Europas Eis erzeugt, als man bislang vermutet hatte. Die Arbeit könnte letztendlich helfen, die Dicke der äußeren Mondkruste besser abzuschätzen. Die Studie wird am 1. Juni 2016 in den Earth and Planetary Science Letters veröffentlicht.

Die größten Jupitermonde Io, Europa, Ganymed und Kallisto wurden von Galileo Galilei im frühen 17. Jahrhundert entdeckt. Als die NASA in den 1970er und 1990er Jahren Raumsonden zum Jupiter schickte, zeigten sich diese Monde voller Überraschungen. „Wissenschaftler hatten erwartet, kalte, tote Orte vorzufinden, aber sie wurden von ihren verblüffenden Oberflächen förmlich umgehauen“, sagte Christine McCarthy. McCarthy ist Fakultätsmitglied an der Columbia University und leitete diese Studie als Doktorandin an der Brown University. „Es gab dort deutliche Anzeichen für tektonische Aktivität – Bewegungen und Brüche. Es fanden sich auf Europa auch Orte, die aussehen wie durchgeschmolzenes oder matschiges Eis.“

Die einzige Möglichkeit, so weit von der Sonne entfernt genug Wärme für diese aktiven Prozesse zu produzieren, ist mittels der Gezeitendissipation. Der Effekt, so sagte McCarthy, sei ein bisschen wie das, was geschieht, wenn jemand wiederholt einen Metallkleiderbügel verbiegt. „Wenn man ihn vor- und zurückbiegt, kann man fühlen, wie er an der Biegestelle Wärme erzeugt“, sagte sie. „Er tut das durch Reibung innerhalb des Metalls, und der Prozess ist mit dem vergleichbar, wie Energie in dem Eis abgeführt wird.“

Die Einzelheiten des Prozesses im Eis sind allerdings nicht sehr gut verstanden, und Modellstudien, welche darauf abzielten, diese Dynamiken auf Europa einzufangen, ergaben einige rätselhafte Ergebnisse. „Man hat einfache, mechanische Modelle genutzt, um das Eis zu beschreiben“, sagte McCarthy. Obwohl diese Berechnungen auf flüssiges Wasser unter Europas Oberfläche hinwiesen, ergaben sie nicht die Art von Wärmeströmungen, welche diese tektonischen Aktivitäten hervorrufen würden. Also führten wir einige Experimente durch, um zu versuchen, diesen Prozess besser zu verstehen.“

McCarthy arbeitete mit Reid Cooper, einem Professor für Erd-, Umwelt- und Planetenwissenschaften an der Brown University, zusammen und legte Eisproben in einen Kompressionsapparat. Sie setzte die Proben zyklischen Belastungen aus, die mit jenen in Europas Eiskruste vergleichbar waren. Als die Belastungen ausgeübt und freigesetzt wurden, deformierte sich das Eis und federte dann bis zu einem gewissen Ausmaß zurück. Durch die Messung der Verzögerungszeit zwischen dem Einsetzen der Belastung und der Deformierung des Eises konnte McCarthy ableiten, wie viel Wärme produziert wurde.

Das Experiment offenbarte überraschende Ergebnisse. Modellansätze hatten vorausgesetzt, dass der Großteil der von dem Prozess erzeugten Wärme aus der Reibung an den Grenzen zwischen den Eispartikeln stammt. Das würde bedeuten, dass die Größe der Eispartikel die Menge der erzeugten Wärme beeinflusst. Aber McCarthy fand sogar ähnliche Ergebnisse, als sie die Partikelgröße in ihren Proben grundlegend veränderte. Das spricht dafür, dass die Partikelgrenzen nicht die primären Wärmegeneratoren in diesem Prozess sind.

Die Arbeit lässt darauf schließen, dass die meiste Wärme in Wirklichkeit aus Defekten stammt, die sich infolge der Deformierung im Kristallgitter des Eises bilden. Diese Defekte, so zeigte die Studie, produzieren mehr Wärme als von den Partikelgrenzen erwartet werden würde.

„Christine entdeckte, dass Eis – verglichen mit den bisher von der Wissenschaftsgemeinschaft verwendeten Modellen – eine Größenordnung dissipativer zu sein scheint als bislang angenommen“, sagte Cooper. „Mehr Dissipation bedeutet mehr Wärme, und das könnte Auswirkungen auf Europa haben.“

„Das Schöne daran ist, dass es wunderbar extrapolierbar wird, wenn wir erst einmal die Physik richtig nachvollzogen haben“, sagte Cooper. „Diese physikalischen Prozesse sind die Hauptvoraussetzung, um die Dicke von Europas Kruste zu erkennen. Die Dicke der Kruste in Bezug zu der Zusammensetzung des Mondes ist wiederum wichtig, um die Zusammensetzung des Ozeans zu verstehen. Und wenn man nach Leben sucht, dann ist die Zusammensetzung des Ozeans eine große Sache.“

McCarthy und Cooper hoffen, dass Modellersteller Gebrauch von diesen Ergebnissen machen werden, wenn sie versuchen, die Geheimnisse von Europas verborgenem Ozean zu ergründen. „Dies stattet die Modellersteller mit einer neuen Physik aus, die sie anwenden können“, sagte McCarthy.

Die Studie wurde vom NASA Program in Planetary Geology and Geophysics (NNX06AD67G) und dem NSF Program in Geophysics (EAR-1014476) unterstützt.

Quelle: https://news.brown.edu/articles/2016/04/europa

(THK)

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